Ab wann ist man ein Alkoholiker?
Wenn man das Bier, den Wein und den Schnaps direkt aus der Flasche trinkt? Das
hatte er irgendwann mal gelesen. Er benutzte schon lange keine Gläser mehr. Er
lebte allein und hatte keine Arbeit. Also lief er in Unterhosen durch seine
Wohnung. Ist man ein Säufer, wenn man morgens anfängt? Früher hatte er das
erste Glas am Morgen genossen. Es war inspirierend, es wirkte stärker als das
erste Glas am Abend. Aber inzwischen war es einfach egal. Er brauchte
Nachschub.
Bis zum nächsten Aldi war es
nicht weit. Aber er fror in seiner dünnen Jacke. Die Farben der Stadt wirkten
wie ausgewaschen. Zielsicher steuerte er das Weinregal an. Dazu noch ein
Toastbrot, für mehr reichte es nicht mehr. Aber das Thema Essen wird ja ohnehin
stark überschätzt. Er aß immer weniger. Selbst wenn er sich nachmittags die
erste Scheibe Brot mit Marmelade schmierte, hatte er keinen Hunger. Er legte
seine Waren auf das Band und murmelte „Hallo“, als die Verkäuferin ihn
ansprach.
Sie war gestern im Nagelstudio
gewesen und hatte sich neue Fingernägel gegönnt. Weiß, mit
Hello-Kitty-Hologrammen. Ziemlich teuer. Aber kein Kunde achtete darauf. Sie
waren damit beschäftigt, ihre Einkäufe vor der Kasse aufs Band und hinter dem
Band zurück in den Wagen zu legen. Nur beim Bezahlen streiften sie die
Kassiererin mit einem kurzen achtlosen Blick. Man hätte ihr Gesicht bei „Aktenzeichen
XY … ungelöst“ zeigen können. Niemand hätte sie wiedererkannt.
Da gab es diese neue Aushilfe.
Groß, dürr, mit ein paar postpubertären Restpickeln. Sie hatte ihm erklärt,
welche Waren aus dem Lager er in welche Regale verteilen soll. Dann hatte sie
gesagt, der Chef habe die Heizung runtergedreht. Sonst wäre es hier nicht so
kalt. Der Neue hatte nur mit Ja geantwortet. Mehr war ihr nicht eingefallen.
Eigentlich gefiel ihr der junge Mann, aber sie wusste nicht, wie sie mit ihm
ins Gespräch kommen sollte.
Heute würde ihre Mutter anrufen.
Wie jeden Mittwoch. Sie rauchte eine Schachtel Mentholzigaretten am Tag. Sie
traf sich mittwochs immer zu dünnem Filterkaffee mit ihren drei Freundinnen.
Heute ist sie bei Gisela. Alle Freundinnen haben schon ein Enkelkind, nur sie
nicht. Ihre Tochter war Ende zwanzig und hatte immer noch keinen Mann. Was
sollte einmal aus ihr werden? Sie war Rentnerin, Witwe und ihr Sohn war mit
neunzehn an einer Überdosis Heroin gestorben. Vielleicht hätte er ihr ein
Enkelkind geschenkt?
Inzwischen interessiere ich mich
nicht mehr für andere Menschen. Es lohnt sich nicht, mit ihnen zu sprechen. Ich
habe meine Bücher, meine Filme, meine Träume. Heute Nacht habe ich geträumt,
ich würde Geld in einen Süßigkeitenautomat werfen und nichts bekommen. Diesen
Traum habe ich sehr oft. Deswegen benutze ich keine Süßigkeitenautomaten mehr.
Man bekommt nicht, was man möchte.
Sehr bewegend.
AntwortenLöschenDanke.
LöschenEs gibt Supermärkte, bei denen der Marktleiter bei der Auswahl der Mitarbeiterinnen, ohne :, ein gutes Auge hat.
AntwortenLöschen"Händchen" hab ich mir jetzt mal verkniffen.
Bei den anderen kauf ich nicht ein.
"Inzwischen interessiere ich mich nicht mehr für andere Menschen. Es lohnt sich nicht, mit ihnen zu sprechen."
AntwortenLöschenWieder mal Schopenhauer:
„Das Glück gehört denen, die sich selbst genügen. Denn alle äußeren Quellen des Glückes und Genusses sind ihrer Natur nach höchst unsicher, misslich, vergänglich und dem Zufall unterworfen.“
;-)
Du könntest Dir auch mal neue Fingernägel gönnen , mit Hello-Kitty-Hologrammen.
AntwortenLöschenAuf meinen Fingernägeln huldige ich ausschließlich Wolfgang Petry.
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