Ich
versuche schon seit Jahren, ein Interview mit dem berühmten Andy Bonetti zu
bekommen. Bekanntlich ist der große Meister ein scheuer und bescheidener
Mensch, der sich nicht in den Mittelpunkt stellen möchte.
Heute
ist es soweit. Ich gebe die Adresse ins Navi ein und fahre los. Es geht in ein
kleines Dorf in der Nähe von Berlin. Es wundert mich, dass der Medientycoon die
Konzernzentrale außerhalb der Stadt gebaut hat. Aber das Silicon Valley ist ja
bekanntlich auch nicht in der Innenstadt von Los Angeles entstanden.
Als
ich schließlich am Ziel ankomme, kann ich es nicht fassen. Ich überprüfe noch
einmal die Adresse. Aber sie stimmt. Vor mir steht ein kleines Einfamilienhaus,
das von wildem Gestrüpp umgeben ist. Und gehe zur Haustür und klingele. Es
dauert eine Weile, bis die Tür geöffnet wird.
Vor mir steht eine uralte Frau, die sich auf einen Stock stützen muss.
„Wer sind Sie?“, fragt sie mürrisch.
„Mein Name ist Hudson Haselreiter”, antworte
ich. „Ich bin mit Andy Bonetti verabredet.“
Sie
dreht sich um und ruft: „Andreas, du hast Besuch.“
Ich
trete ein und höre, wie eine Kinderstimme aus dem Keller ruft: „Er kann
runterkommen.“
Ich
gehe die Treppe hinunter und betrete einen düsteren Kellerraum, der nur von
einer Glühbirne beleuchtet wird. Drei Tische sind zu einem U zusammengestellt,
auf ihm befinden sich drei große Monitore und ein Notebook. Die obligatorischen
leeren Pizzakartons und Bierflaschen fehlen allerdings. Bonetti erhebt sich aus
einem riesigen schwarzen Drehsessel. Er trägt ein orange-schwarz-gemustertes Dashiki-Hemd,
khakifarbene Bermudashorts und Filzpantoffeln.
Der zwei
Meter hohe Fleischberg reicht mir seine gewaltige Pranke. Sein Händedruck ist
weich, warm und ein wenig feucht.
„Willkommen
bei Bonetti Media.“
Ich
bin verblüfft. „Ich hätte mir das Unternehmen größer vorgestellt. Wo sind Ihre
Mitarbeiter? Wo ist Heinz Pralinski?“
„Den
habe ich mir nur ausgedacht. Ich arbeite ganz allein.“
„Wozu
dann die vielen Monitore?“
„Auf
einem zocke ich, auf einem surfe ich durchs Netz und auf einem sehe ich
Fernsehen. Auf dem Notebook schreibe ich meine Texte.“
„Sie
wohnen noch bei Ihrer Mutter? Und was ist mit der Altbauwohnung in
Wilmersdorf?“
„Die
gibt es nicht. Drei- bis viermal im Jahr fahre ich mit der S-Bahn in die Stadt.
Das ist alles.“
„Aber
Sie müssten mit Ihrem Unternehmen doch Millionen verdienen.“
„Keine
Kopeke. Meine Mutter bezahlt die Einkäufe und die Nebenkosten. Sie kocht auch
für mich. Wollen Sie eine Cola?“
Die
Story wird mir in der Redaktion keiner abkaufen.
Mit der Story würde ich einen auf Relotius machen. Dann sind Auszeichnungen in Sicht.
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