In
Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“ berichtet der Ich-Erzähler von einem
Verhältnis zu einem „Mädchen aus dem Volke“, das er als Student kennengelernt
hatte, und alsbald wieder beendet, „da der Bildungstiefstand des Dinges mich
ennuyierte“.
Wie
unvermittelt und geradezu naiv die Klassengesellschaft des Kaiserreichs
geschildert wird. „Das Volk“, das sind offenbar die anderen, die man auch als
„einfache Leute“ oder als „gemeines Volk“ bezeichnet. Davon grenzten sich
zunächst Adel und Klerus ab, später das Besitzbürgertum und noch ein wenig
später das Bildungsbürgertum wie in diesem Fall (der Ich-Erzähler ist der Sohn
eines Apothekers).
Man
zählt sich selbst zu gewissen „Kreisen“, zu denen Menschen „aus dem Volk“
keinen Zutritt haben. Der Fabrikbesitzer mag eine Affäre mit der
Fabrikarbeiterin haben, der Arzt mit dem Dienstmädchen – aber man heiratet
diese Frau nicht. Es war eine Ehe „unter ihrem Stand“. Diesen Frauen fehlt es
an Bildung, Umgangsformen und Beziehungen. Falls es doch zu einer Heirat kommt,
die nicht standesgemäß ist, wird die betreffende Frau ihr Leben lang
argwöhnisch und misstrauisch beäugt.
George
Bernhard Shaw thematisiert diese Klassenunterschiede in seinem Theaterstück
„Pygmalion“, das 1913 uraufgeführt wurde und das Thomas Mann sicher gekannt hat,
als er Jahrzehnte später den „Doktor Faustus“ schrieb. In diesem Stück wettet
ein Sprachwissenschaftler, Professor Higgins, mit einem Freund, er könne ein Mädchen
„aus einfachen Verhältnissen“ in die feine Londoner Gesellschaft einführen,
wenn er ihr ausreichend Sprachunterricht gibt. Das Blumenmädchen Eliza
Doolittle wird ausgewählt und in den folgenden Wochen wie ein Affe dressiert. Sie
verliebt sich in den Professor, der jedoch aufgrund seiner sozialen Stellung
unerreichbar für sie bleibt. Bei der Generalprobe, einer Party, blamiert sie
ihn zwar mit einem kurzen Rückfall in ihre Vulgärsprache und ihren Akzent, insgesamt
ist der Versuch jedoch geglückt und die Upper Class akzeptiert Eliza.
„Das
Volk“ verrichtet seinen Dienst, aber es gehört nicht zur Gesellschaft. Die
moderne Sprache verdeckt diese Klassenverhältnisse, sie verschleiert das
Herrschaftsgefüge. Wir haben vergessen, wie es wirklich ist und wie es immer
war.
P.S.: Mit
der Formulierung „die jüdischen Verlegersfrauen und Bankiersdamen blickten mit
der tiefgefühlten Bewunderung ihrer Rasse für deutsches Herrenblut und lange
Beine zu ihm auf“ würde Thomas Mann heutzutage auf Twitter einen Shitstorm auslösen.
P.P.S.:
Sehr sympathisch finde ich in diesem Alterswerk Manns seinen Hang zu albernen
Namen, dem ich ja auch seit vielen Jahren fröne und dem ich hemmungslos
nachgehen kann, seit mich kein Lektorat mehr stört. Vor zehn Jahren wurde ich
noch gezwungen, eine Hauptperson von Maritima Eternity Wurstwasser in Julia
Sommer umzubenennen. Bei Mann gibt es eine Familie Schweigestill, der beste
Freund der Hauptfigur heißt Schildknapp und mein Liebling – ein Seitenhieb auf
den unsäglichen Katholizismus – ist Monsignore Hinterpförtner.
Gioachino
Rossini : The Barber Of Seville - Overture - YouTube
Geht schon in der Kindheit los: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern...
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AntwortenLöschenAuf dem Standesamt.
Mann: "Ich möchte meinen Namen ändern lassen."
Beamter: "Das geht aber nicht so einfach."
Mann: "Warum denn nicht?"
Beamter: "Ja da würde ja jeder kommen ..."
Mann: "Aber ich muss unbedingt meinen Namen ändern lassen."
Beamter: "Also gut, bevor wir uns hier so weiter streiten, sagen Sie mir doch erstmal, wie sie heißen."
Mann: "Fritz Ficker."
Beamter: "Ach Gott, natürlich, selbstverständlich, Entschuldigung. Klar werden wir diesen Namen ändern!"
Mann: "Danke!"
Beamter: "Wie wollen Sie denn in Zukunft heißen, mein Herr?"
Mann: "Paul Ficker."
*hehe*
Heute also "Tag der Witzbolde"? :)
LöschenAuf dem Standesamt:
AntwortenLöschen"Ich möchte meinen Namen ändern lassen."
"Wie heißen Sie denn?"
"Brentz!"
"Ist doch ein ganz normaler Name!"
"Schon, aber immer, wenn ich mich am Telefon mit "hier Brentz" melde, kommt die Feuerwehr."
Und unsere Welt funktioniert so wie sie funktioniert, weil so viele gern zu den "gewissen Kreisen" gehören würden.
AntwortenLöschen... und weil sie durch ihr Verhalten die Sympathie dieser Kreise gewinnen möchten.
LöschenEs ist ganz natürlich.
AntwortenLöschenAlles verifiziert durch Beobachtungen in meiner Blase.
Kinder von Selbständigen werden selber selbständig, Handwerker, Apotheker, Zahnwälte.
Arbeiterkinder werden auch oft "Arbeiter". Das gibt es ja so nicht mehr, also Facharbeiter, manchmal durch einen Meistertitel geadelt.
Beamte dann in der 4ten Generation oder Angestellte.
Unternehmer dito.
Und die Eliten bleiben dann natürlich auch unter sich.
Die Ausnahme bestätigt die Regel, kenne einen Millionär aus einem Alkoholiker, Arbeiterhaushalt. Einer von Millionen.
Alles verdammt normal.
So viel ich weiß, hat Goethe es sich seinerzeit herausgenommen, eine Fabrikarbeiterin zur Frau zu nehmen. Siebzehn Jahre ließ er sich Zeit, ehe die Verbindung endlich doch durch kirchliche Heirat legitimiert wurde. Die bürgerliche Gesellschaft von Weimar konnte das nur schwer ertragen, so dass der Herr Geheimrat mit seiner Frau nur am Rande der Stadt wohnen durfte. Was den Dr. Faustus angeht, denke ich nicht, dass die bürgerliche Moral hier allzu naiv geschildert wird. Thomas Mann hat mit Serenus Zeitblom (noch so ein Name!) einen Ich-Erzähler gewählt, der ganz bewusst bieder und gesellschaftskonform angelegt ist - im Gegensatz zum Künstler Leverkühn. Der Kontrast zwischen Bürger und Künstler ist bei Mann ja immer das Thema schlechthin gewesen. Wir haben heute andere Sorgen.
AntwortenLöschenP.S.: Autokorrektur wollte aus Serenus Zeitblom Serenus Zeitbombe machen - auch kein schlechter Name.