Sonntag, 24. Februar 2019

Worte ohne Bilder

Ich möchte heute mal ein Problem ansprechen, dass wir vermutlich alle haben: die Urlaubsbilder anderer Leute. Neulich habe ich ein Ehepaar besucht, das mit seinen Kindern in kanadischen Nationalparks unterwegs gewesen ist. Tolle Bilder, keine Frage. Aber für mich sieht ein Berg wie der andere aus, ein Tal wie das andere und die Bäume sehen sowieso auf jedem Bild gleich aus, vor allem, wenn es ganz viele auf einmal sind. Sie kennen das. Man darf aber natürlich nichts sagen. Keiner sagt was. Warum? Weil wir alle so scheißhöflich zueinander sind. Entweder wird sind extrem höflich oder extrem aggressiv (Internet, Straßenverkehr). Normal sind wir eigentlich nie oder höchstens, wenn wir alleine auf dem Klo hocken.
Den größten Alptraum habe ich Anfang der neunziger Jahre in Berlin erlebt. Eine angehende Kunsthistorikerin war mit ihrem Freund in Ägypten. Die Diashow hat ungelogen drei Stunden gedauert. Ohne Pause. Ich bin ja kein Kunstbanause, aber für mich sieht eine Pyramide aus wie die andere. Dazu die ganzen Tempelanlagen. Diese Bilder haben alle die gleiche Farbe. Sandfarben. Übrigens auch die Bilder aus der Wüste. Noch ein Diakasten. Man wusste gar nicht, wie viele Kästen es insgesamt sind. Langatmige Erklärungen zu Ramses dem Einäugigen, während wir wie auf Steinen saßen. Küchenstühle. Holz. Kein Polster. Kein Sessel und kein Sofa in der Kreuzberger Studentenbude. Ich wäre am liebsten schreiend rausgerannt. Aber natürlich habe ich nichts gesagt. Ich habe es ausgehalten. Es war eine Zen-buddhistische Übung in Geduld. Heute würde ich gehen – oder besser: Ich würde erst gar nicht kommen. Oma gestorben, Bandscheibenvorfall, alles egal.
The Tornados – Telstar. https://www.youtube.com/watch?v=WPDvsLSnUGc

7 Kommentare:

  1. Ich bin meist ehrlich und weigere mich bereits, wenn jemand mir eine Bildserie auf dem Handy zeigen will. Aber das hat gedauert, ein, zwei Bilder, dann ist es genug. Ich nehme auch nicht mehr den günstigen Eintritt wahr in Berlin, an dem man für Festpreis viele Museen in zwei Tagen besuchen darf. Meine Aufnahmefähigkeit ist begrenzt, es macht mir keinen Spaß, ich sehe irgendwann nichts mehr richtig...

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    1. Ich schaffe es nicht. Vielleicht sollte ich einfach in solchen Situationen die Augen schließen und Schnarchgeräusche machen?

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    2. Ich habe noch nie erlebt dass jemand beleidigt war. Ich sage einfach, ich will dass wir miteinander sprechen, dass sie über ein Bild erzählen, von ihrem Enkelkind berichten ohne viele Bilder, von ihrem Urlaub... Meist reicht auch ein Foto, um den Moment oder Stimmung zu zeigen.
      Mein Mann schaut übrigens gerne Dias!

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  2. Die Kunst, Zeit zu haben, ist auch die Kunst, sich die Leute vom Leibe zu halten, die uns die Zeit stehlen.

    Emil Oesch

    *sonnigfröhlichenohneZEITzuverschendendenSonntagsGRUßschick*

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  3. Sonnenaufgänge? Sonnenaufgänge!

    https://kiezschreiber.blogspot.com/2019/02/sonnenaufgange.html

    Für mich sieht jede rote Paprika gleich rot aus ...

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  4. Unsere Augen sind schon so abgestumpft, entweder waren wir schon selber an einem tollen Strand, in einer menscheleeren Wüste oder in einer atemberaubenden Stadt, wobei für mich eine Stadt nie atemberaubend sein kann, eher anstrengend, oder wir kennen bessere Bilder aus Zeitschriften ( GEO / Merian ) oder schlicht aus dem TV oder gar aus dem Kino.
    Wir sind total überfüttert, überfressen.
    Was mich letztendlich begeistert sind die kleinen Sachen, ein Kiosk irgendwo in der Suburb, mit irgendwelchen Gestallten, eine tolle Brauereigaststätte in Franken, eigentlich nix besonderes, mach da mal ein Foto für Instagram, ja und ? Eine Kneipe halt.
    Nein, der Himmel..........
    Ich hab auch schon tolle Fake-Bilder gemacht.
    Und jetzt weiß ich auch, wie so etwas entsteht.
    Ein Bild vom Strand, mit einer Palme drauf, tolllllll, man dreht sich um 180° und sieht Bretterbuden und Armut. Aber nur, wenn man real vor Ort ist.

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