Dienstag, 17. Mai 2016

Würst-Sampler

Neulich hatte ich die Idee, in Amerika eine Restaurantkette mit dem Namen „Heidelberg“ zu gründen. Als ich jetzt, da ein Freund eine Woche in New York verbringen will, mal spaßeshalber nach deutschen Restaurants im Big Apple gesucht habe, bin ich tatsächlich auf das „Heidelberg“ gestoßen – und das war nicht alles.
Im „Heidelberg“ in der vornehmen Upper East Side von Manhattan wird das Jägerschnitzel mit Spätzle und Rotkraut serviert. Stolze 28,50 $ werden aufgerufen. Es gibt jede Menge Würste in allen Varianten und Portionsgrößen, aber auch eigene Kreationen: den Heidelburger („German style hamburger served with mashed potatoes and fried onions“) oder das Andy's Special Sandwich („chicken or pork Schnitzel on a French baguette with Swiss cheese, bacon, lettuce, mayo and sauerkraut”). Zum „Frühschoppen“ ab 10:30 Uhr (klingt doch auch besser als Frühstück, oder?) kann man Eggs Bismarck („potato pancake topped with smoked salmon, fried egg, and hollandaise sauce“) oder Apfel-Omelett mit Eis („German apple pancake with ice cream“) bestellen. Warum gibt es diese Köstlichkeiten nicht auch bei uns?
Sehr schön ist auch das „Schnitzel Haus“ an der Fifth Avenue in Brooklyn. Hier gibt es nicht nur den titelgebenden „Würst-Sampler“, sondern auch andere kulinarische Überraschungen. „Two generations of family recipes are recreated to enjoy authentic tastes from the ‘old country’ at the Schnitzel Haus.” Hat Oma euch einen Streich gespielt, als sie euch das Rezept für „Reh-Kirsch würstchen mit Kartoffelsalat / Venison-Cherry Sausages with cold German potato salad“ oder „Feiner Spinatsalat mit heisser Specksosse“ gegeben hat? Von „Rheinische Muscheln“ mal ganz zu schweigen, die ich in fünfzig Jahren am Rhein nie zu Gesicht bekommen habe. Kann mir jemand beim “Schäfer-Auflauf / German Shepherd’s Pie, a variety of German würst topped with sauerkraut and mashed potatoes and baked in the oven” helfen? Anyone? Sympathisch ist der “Vegetarienteller / A Special Vegetarian Platter with pancake, spaetzel, red cabbage and fresh vegetables”.
Vom Restaurant „Loreley” fühle ich mich als Rheinhesse natürlich persönlich angesprochen. „German Gemütlichkeit, a concept best approximated by ‘coziness’ in English” – da möchte man dabei sein. “Pommes Rot Weiss” und „Halver Hahn“ (ein Käsebrot) für je sieben Dollar, “Schnitzel Finger”, „Wurst Tacos“ und der weltberühmte „Loreley Hamburger“. Da werden Erinnerungen wach, damit bin ich großgeworden. Und zum Nachtisch den „Ananasstrudel mit Vanille Sosse“. Wie bei meiner Oma!
Sie sind aus der deutschen Hauptstadt? Dann empfehle ich das „Berlyn“ in Brooklyn. „Spätzle Primavera“ klingt nach Prenzlauer Berg. „Lemon Buttermilk Panna Cotta“ ist ein traditionell preußischer Nachtisch, den schon der alte Fritz genossen hat. Und ob “Baby Mixed Greens with peas, tomato, fresh herbs, sherry vinaigrette” wirklich zu Früh Kölsch vom Fass oder „Würtzburger Hofbrau Pilsner” passen?
Im „Hallo Berlin“ wird außen mit schwarz-rot-gold, innen mit blau-weiß dekoriert. Gegründet von einem Ostdeutschen, der 1977 nach West-Berlin ausreisen durfte und vier Jahre später nach Amerika auswanderte. Hier tragen die Würstchen Namen wie Volkswagen (Wiener Würstchen), Mercedes (Bratwurst), BMW (Weißwurst) und Trabant (Bockwurst). Der Maybach ist eine „Smoked Andouille Bratwurst Cheese“ für zehn Dollar. Es gibt „Brat-burger“. Es gibt „Berliner Lunch“, der recht kreativ gestaltet ist: „Double Bavarian Meatballs“ und „German Single Soul Food Mix 1 Wurst“. Was mag sich dahinter verbergen?
Im „Manor Oktoberfest“ wird es dann preislich fast schon kriminell, wenn die aus München importierte Oktoberfestbretzel für acht Dollar angeboten wird. Aber es gibt ja auch Piroggen und „Hungarian Farmer's Crepe“ – Deutschland in den Grenzen von 1941. Da bleibe ich doch lieber beim „Oktoberfest Burger“ und beim „Smoked Black Forest Bacon Club Sandwich“. Das Zigeunerschnitzel mit Paprikasoße firmiert hier als „Hungarian Schnitzel“ mit Spätzle und Gurkensalat. Vom Faß gibt es Münchner und ostdeutsche Biere (Radeberger ist in New York sehr verbreitet) und sicherheitshalber auch Guinness. „OKTOBERIZE IT!“
„Best sexy sausages“ gibt es laut Village Voice im „Lederhosen“, Greenwich Village. „Chicken Frikasse With Pilze“ und „Gerauecherte Makarele“ – mir gefällt der Sprachmix. Es gibt eine „Jagermeister Sauce“ (womit allerdings offenbar Jägersoße zum Schnitzel gemeint sein dürfte) und natürlich den unvermeidlichen „Lederhosen Burger Deluxe.“ Ein Stück Heimat entdecke ich im „Ruedesheimer german style coffee with a shot of brandy & whipped cream” – und sie haben tatsächlich auch Apfelwein, wenn auch für sieben Dollar für ein großes Glas (0,5 l). Überhaupt wird für die Getränke auf allen Karten das metrische System verwendet.
Das „Bavaria Bierhaus“ an der Südspitze Manhattans bietet ein „Bavaria Omelette“ (“Corned beef, Emmentaler Swiss cheese, Choice of home fries, regular fries or salad”), “Bavarian Fries” (“Crispy fries topped with beef stew, a fried egg and a touch of sour cream”) und einen „Bavarian Spicy Burger“ (“Butterkase cheese, crispy bacon, spicy mustard Choice of fries, house salad or sauerkraut”) an. Aufregend klingt auch “Pork Belly Waffle Slider” (“Braised cabbage&apples with a bier cheese sauce”). Für eine Maß Bier werden sechzehn Dollar aufgerufen.
“Max Bratwurst und Bier” in Queens bietet neben Bratwurst und Bockwurst auch eine Klapperschlangenbratwurst und eine Krokodilbratwurst an. Aufgepasst, Nürnberg! Auch die „Bierbratwurst mit Käse“ klingt verlockend. „Make any Sausage to a Currywurst as seen in Berlin. Just for $ 2.” Gebt mir den “Berlin Hammer“: „Jumbo Currywurst mit Pommes rot-weiss“. Als „German Hamburger“ werden hier „Riesen Bouletten“ mit einem Kampfgewicht von zehn Unzen angeboten. Das sind 283 Gramm! Auf der bayrischen Variante sind sogar noch Nürnberger Würstchen, auf der westfälischen Variante westfälischer Schinken und Gouda, die österreichische Ausgabe wird mit Bacon und Gorgonzola serviert, die Schweiz wartet mit Pilzen, Schweizer Käse und Curryketchup auf. Richtig international ist das „German Ham and Cheese Sandwich“: „Ham bologna, smoked speck, swiss cheese, ciabatta“. Das Heilige römische Reich deutscher Nation ist wieder auferstanden.
Die „Reichenbach Hall“ weicht wohltuend in einigen Punkten von den anderen Restaurants ab. Hier gibt es auch einen „Aufschnitt Teller“ oder eine „Vegan Tofu Wurst“. Mouthwatering ist ja auch die Beschreibung der „Wurstplate”: “A mouth watering combination plate featuring our time honored & traditionally prepared German sausages, including two of each Bratwursts, Huhn Wursts, Bauernwursts, Kasewursts, & one Kielbasa served with spicy mustard, gherkins & assorted breads.” Die polnische Kielbasa taucht recht häufig in den deutsch-amerikanischen Speisekarten auf. Muss man sich jenseits der Oder wieder Sorgen machen? Sehr nett ist aber das „Nackt Schnitzel“ – es wird unpaniert serviert. Als Beilagen können Sie Steckrüben bestellen. Dann aber die „German Fries”. Bitte genau lesen: “Hand cut Idaho potatoes cooked crisp & tossed with kosher salt.” Koscheres Salz? Wiedergutmachung geht offenbar durch den Magen.
Es gibt erstaunlich viele deutsche Lokale in New York. Das hätte ich nicht erwartet. Ich vermisse beim Studieren der Speisekarten allerdings den Blitzkrieg Burger und die German Tank Würstel. Und wie wäre es mit einem Cocktail auf Jägermeisterbasis, der als „V 2“ angeboten wird? Hitler Fries? Göringtorte? Die zwölf Jahre des Nationalsozialismus fehlen hier völlig. Vielleicht sollte man diese Marktlücke füllen und ein Restaurant mit dem Namen „Eva Braun“ eröffnen?
John Watts – I Smell Roses. https://www.youtube.com/watch?v=NSsN7M_Jc_o

4 Kommentare:

  1. I suppose the „Schäfer-Auflauf“ could be a variant form of „Himmel und Erde“ (kenne ich auch unter dem Namen „Himmel und Hölle“): Blutwurst, Kartoffelbrei, Röstzwiebeln und/oder (kenne beides) Sauerkraut. As far as I know it is not ofengebacken, but who knows?!

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  2. Lieber Matthias,
    Du alter Nostalgiker siehst das wieder mal ganz falsch: da fehlt nix, das kulinarische Angebot Amerikas ist -wie auch sonst überall - der alten Welt nur um ein weniges voraus.
    Schau bloß mal in die Kühltheke des nächsten Supermarkts Deines Vertrauens.
    Was die Werbefuzzies da an Kreationen vorlegen, kann sich mit den obigen cross-overs schon fast messen: Simmentaler aus dem Allgäu ist die Richtung, in die sich da zukünftig stramm ernährt werden wird.

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  3. Ich habe beim Lesen über den Bulettenburger mit den Würstchen bzw. dem Schinken mit Gouda obendrauf fast gekotzt. Wer soll das Zeug nur essen? Meine Güte, den zweiten Weltkrieg haben die Deutschen verloren und jetzt rotten sie die Amis 70 Jahre später mit Kulinaribomben aus.

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    1. Und jetzt stell dir noch die Inneneinrichtung dieser Lokale vor und die Kellnerinnen im Dirndl. Dann wird dir echt übel.

      Deutschland wirkt auf den Seiten dieser Restaurants so gruselig wie im neuen Lufthansa-Werbespot. "We fly with the Germans?!"

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