„Die Welt ist weiß und das Wort ist schwarz.“ (Lupo Laminetti)
Wir, das heißt meine Frau und ich, haben den ausgedehnten Herrschaftssitz im Frühling gekauft. Er liegt in den Weinbergen unweit von Sankt Goar und wurde Ende des 19. Jahrhunderts von einem Fabrikanten erbaut. Der letzte Besitzer war vor kurzem gestorben und seine Erben wollten das Haus kurz nach der Beerdigung verkaufen. Bis auf einige persönliche Andenken, Briefe und Fotoalben, blieb die Einrichtung des Hauses unverändert. Alte Gemälde hingen an den Wänden, neben dem Kamin stapelten sich die Buchenscheite und die Bibliothek umfasste sicherlich mehrere tausend Bände, meistens Belletristik, Bildbände und historische Abhandlungen.
Wir ließen fast alles unverändert. Meine Frau schaffte einen neuen Kühlschrank an, wir brachten unser eigenes Geschirrservice mit und ich stellte meinen geliebten alten Lesesessel ans Fenster des großen Arbeitszimmers, von dem aus ich in den weitläufigen Garten sehen konnte: Alte Eichen und Kiefern, durch deren gewundene Äste ich den Fluss schimmern sah, Rhododendren und Fuchsien. Wir nutzten anfangs nur das Erdgeschoss und zwei Zimmer im Obergeschoss. Der Sommer kam und wir saßen auf der Terrasse und genossen die Ruhe unseres neuen Zuhauses.
Es waren Kleinigkeiten, die mich eines Tages stutzig machten. Ich hatte in einem der Bücherregale, die ganze Wände des Arbeitszimmers und des Wohnzimmers bedeckten – von der eigentlichen Bibliothek ganz zu schweigen -, „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace entdeckt, einen Roman, den ich als Freund der amerikanischen Literatur schon immer einmal lesen wollte. Als ich ihn endlich aus dem Regal ziehen wollte, war er verschwunden. Ich suchte systematisch die Reihe der Buchrücken nach dem Titel ab. Nichts. Auch meine Frau hatte das Buch nicht genommen. Ich ließ den Fall auf sich beruhen und las „Portnoys Beschwerden“ von Philip Roth. Einige Tage später vermisste ich einen Kugelschreiber, den ich auf dem Schreibtisch liegengelassen hatte. Auch er tauchte nicht mehr auf. Im Kühlschrank fehlten Schinken und Salami, in der Vorratskammer verschwanden Konserven mit eingelegten Pfirsichen und Gulaschsuppe.
Wir konnten uns diese Vorgänge nicht erklären. Als wir eines Abends auf der anderen Rheinseite in einem Restaurant saßen und zu unserem Haus hinübersahen, fiel uns auf, dass in zwei Zimmern das Licht brannte. Hatten wir vergessen, das Licht zu löschen, als wir das Haus verließen? Voller Unruhe warteten wir auf das Essen, das wir bestellt hatten, aßen ohne Appetit Rehrücken und tranken hastig eine Flasche Dornfelder. Als wir mit der Fähre den Rhein überquert hatten und wieder in unserem Haus angekommen waren, war alles dunkel.
Wir waren beunruhigt und grübelten gemeinsam über die Vorfälle seit unserer Ankunft vor einigen Monaten. Gegenstände waren verschwunden und wieder aufgetaucht. Es gab nur eine vernünftige Erklärung: Im Haus lebte ein Fremder. Wir beschlossen, am nächsten Morgen alle Räume zu durchsuchen. Aber das Haus ist groß und besitzt mehrere Treppenhäuser, ein repräsentatives in der Mitte des Hauses und zwei schmale für das Personal im Nord- und im Südflügel des Anwesens. Von einer Kellertür führte ein Trampelpfad zu den Mülltonnen neben der Remise. Von dort gab es einen Schotterweg, der durch den Garten hinunter in den Ort führte.
In etlichen ehemaligen Gästezimmern und Personalräumen gab es Sofas und Betten. Der Fremde konnte jede Nacht in einem anderen Zimmer schlafen. Wir fanden „Unendlicher Spaß“ in einem Kellerraum voller alter Möbel, Kisten und Gerümpel. Leider gab es zu diesen vielen Räumen keine Schlüssel. Also riefen wir die Hinterbliebenen an, um sie um Hilfe bei der Aufklärung des Rätsels zu bitten. Die Tochter des Verstorbenen verriet uns nach kurzem Zögern, ein Schriftsteller habe im Haus ihres Vaters gewohnt. Er hätte dort gearbeitet und musste für die Unterkunft und die Verpflegung nicht aufkommen. Sie hatte erwartet, dass der Mann verschwunden sei. Wir hatten also einen unsichtbaren Gast in unserem Haus.
Sein Name ist Magnus Lieberwirth. Aber ich kann im Netz nichts über ihn finden. Keine Veröffentlichungen, keine Informationen. Vielleicht benutzt er ein Pseudonym?
Front 242 – Welcome to Paradise. https://www.youtube.com/watch?v=dBk1Fpk3waU
Hallo dort,
AntwortenLöschenhier Magnus Lieberwirth.
Bin etwas menschenscheu, aber extrem bücheraffin.
Falls ihr zufällig den Henry Louis Mencken aufstöbern könnt, den ich seit längerem in dieser verwilderten Bibliothek suche, legt ihn doch bitte neben die Salami.
Bin nämlich auch salamiaffin.
Sehr geehrter Herr Lieberwirth,
Löschenim Gegenzug erwarte ich aber auch, dass ich gelegentlich eine Ode an unsere Großzügigkeit auf meinem Schreibtisch finde und wie durch Zauberhand das Geschirr gespült ist.
Dass bei diesen Spiessern doch immer alles auf einen wie selbstveratändlichen Mutualismus hinausläuft!
AntwortenLöschenHätte ich mir ja denken können.
Da bleibe ich doch lieber in meinem Schwundstatus der Kunst. An dem ihr vorbeigeht, wie ich personifizierte Kunst an euch vorbeigehe.
Mein Herr,
AntwortenLöschenum noch mal meinen Standpunkt zu verdeutlichen: der ganze Untergang Roms fing damit an, dass die Nachfahren des Mäzenas nicht zufrieden damit waren, sich mit uns angesehenen Parasiten zu schmücken, sondern darüber hinaus auch noch irgendwelche Leistungen sehen wollten.
Ungnädig
Lieberwirth,
wohl gemerkt: der Magnus, nicht etwa der Minimus!
P.S. Sie dürfen sich entschuldigen und die Salami etwas größer ausfallen lassen.