Sonntag, 15. Mai 2016

Schopenhauer

Die Lehre Schopenhauers hat in der Gegenwart schon darum Bedeutung, weil sie unbeirrbar die Götzen denunziert.” (Max Horkheimer)
„Beim Lesen begreife ich nicht, wie sein Name unbekannt bleiben konnte. Es gibt nur eine Erklärung, dieselbe, die er so häufig wiederholt, dass es fast nur Idioten in der Welt gibt.“ (Leo Tolstoi)
Es ist ein schmales Bändchen, das ich neugierig aus dem Bücherregal ziehe: „Schopenhauer für Boshafte“. Auf dem Vorblatt lese ich die Widmung des Herausgebers: „Hier nochmal knapp und kompakt, weshalb vom Leben nicht viel zu erwarten ist. Alles Gute zum 40. und weiterhin von Deinem Freund N.“
Vor zehn Jahren ist das Buch erschienen und noch immer sitze ich mit jenem Schopenhauerianer bei Bier und Schweinsbraten, um die Lage der Welt zu erläutern. Selbstverständlich ist alles schlimmer geworden. Wer Schopenhauer liest, weiß es – alle anderen sind jeden Tag wieder aufs Neue überrascht. Aber die Schriften des großen Philosophen dienen uns noch heute als geistige Apotheke. Hier einige Zitate, die unsere Gegenwart ebenso illustrieren wie alle anderen Zeitalter des Menschengeschlechts:
„Der Mensch ist im Grunde ein wildes entsetzliches Tier. Wir kennen es bloß im Zustande der Bändigung und Zähmung, welcher Zivilisation heißt; daher erschrecken uns die gelegentlichen Ausbrüche seiner Natur.“
„Als Zweck unseres Daseins ist in der Tat nichts anderes anzugeben als die Erkenntnis, dass wir besser nicht da wären.“
„Man versetze dieses Geschlecht in ein Schlaraffenland, wo alles von selbst wüchse und die Tauben gebraten herumflögen, auch jeder seine Heißgeliebte alsbald fände und ohne Schwierigkeiten erhielte. – Da werden die Menschen zum Teil vor Langerweile sterben oder sich aufhängen, zum Teil aber einander bekriegen, würgen und morden und so sich mehr Leid verursachen, als jetzt die Natur ihnen auflegt.“
„Man sehe sie doch nur einmal darauf an, diese Welt beständig bedürftiger Wesen, die bloß dadurch, dass sie einander auffressen, eine Zeitlang bestehen, ihr Dasein unter Angst und Not durchbringen und oft entsetzliche Qualen erdulden, bis sie endlich dem Tode in die Arme stürzen.“
„Ein großer Teil der Kräfte des Menschengeschlechts wird der Hervorbringung des allen Notwendigen entzogen, um das ganz Überflüssige und Entbehrliche für wenige herbeizuschaffen. Solange daher auf der einen Seite der Luxus besteht, muss notwendig auf der andern übermäßige Arbeit und schlechtes Leben bestehn.“
„Vielmehr erscheint nur die menschliche Beschränktheit, Verkehrtheit und Schlechtigkeit in jedem Lande in einer andern Form und diese nennt man den Nationalcharakter. (…) Jede Nation spottet über die andere, und alle haben recht.“
„Die Zeitungen sind die Sekundenzeiger der Geschichte. Derselbe aber ist meistens nicht nur von unedlerem Metalle als die beiden andern, sondern geht auch selten richtig. (…) Übertreibung in jeder Art ist der Zeitungsschreiberei ebenso wesentlich wie der dramatischen Kunst: denn es gilt, aus jedem Vorfall möglichst viel zu machen. Daher auch sind alle Zeitungsschreiber von Handwerks wegen Alarmisten; dies ist ihre Art, sich interessant zu machen.“
„Während jeder sich schämen würde, in einem geborgten Rock, Hut oder Mantel umherzugehen, haben sie alle keine andern als geborgte Meinungen, die sie begierig aufraffen, wo sie ihrer habhaft werden, und dann, sie für eigen ausgebend, damit herumstolzieren. Andere borgen sie wieder von ihnen und machen es damit ebenso. Dies erklärt die schnelle und weite Verbreitung der Irrtümer wie auch den Ruhm des Schlechten: denn die Meinungsverleiher von Profession, als Journalisten u. dgl., geben in der Regel nur falsche Ware aus wie die Ausleiher der Maskenzüge nur falsche Juwelen.“
„Unglaublich ist doch die Torheit und Verkehrtheit des Publikums, welches die edelsten, seltensten Geister in jeder Art aus allen Zeiten und Ländern ungelesen lässt, um die täglich erscheinenden Schreibereien der Alltagsköpfe, wie sie jedes Jahr in zahlloser Menge den Fliegen gleich ausbrütet, zu lesen – bloß weil sie heute gedruckt und noch nass von der Presse sind. Vielmehr sollten diese Produktionen schon am Tage ihrer Geburt so verlassen und verachtet dastehn, wie sie es nach wenigen Jahren und dann auf immer sein werden, ein bloßer Stoff zum Lachen über vergangene Zeiten und ihre Flausen.“
„Das Geld ist die menschliche Glückseligkeit in abstracto; daher, wer nicht mehr fähig ist, sie in concreto zu genießen, sein ganzes Herz an dasselbe hängt.“
„Es ist eine große Torheit, nach außen zu gewinnen, nach innen zu verlieren, d.h. für Glanz, Rang, Prunk, Titel und Ehre seine Ruhe, Muße und Unabhängigkeit ganz oder großenteils hinzugeben.“
„Der Reichtum gleicht dem Seewasser: je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man. – Dasselbe gilt vom Ruhm.“
Ähnlich wie Spinoza hat Schopenhauer im unbedingten Willen zum Leben die Wurzeln allen Übels erkannt. Indem man diesen Willen verneint und sich vom irdischen Wollen und Streben befreit, überwindet man das Leiden – unverkennbar hat Schopenhauer von der indischen Philosophie, vor allem vom Buddhismus, viel gelernt. Und selbstverständlich bleibt er mit seiner radikalen Kritik an unserer Welt des sinnfreien Konsums, der Eitelkeit und Oberflächlichkeit auch heute ungehört.
Er selbst kommt im Alter zu dem Schluss, dass seine Philosophie ihm „nie etwas eingebracht, aber sehr viel erspart“ habe.
P.S.: Und das hat Schopenhauer zu Facebook & Co. gesagt: „Da schmieren sie (…) hastig hin, was sie zu sagen haben, in den Ausdrücken, die ihnen eben ins ungewaschene Maul kommen, ohne Stil, ja ohne Grammatik und Logik.“ Der Mann ist unglaublich aktuell. Würde er heute leben, hätte er vermutlich folgende Bandansage: „Hier ist der automatische Anrufbeantworter von Arthur Schopenhauer. Bitter hinterlassen Sie keine Nachricht.“
The Cure – The Funeral Party. https://www.youtube.com/watch?v=Yqo6L-7Uo2k

3 Kommentare:

  1. Danke für den Hinweis, wie doch gar nichts passiert in ein paar Hundert Jahren...

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  2. Hiermit beantrage ich, in die Liste der Ehrenvorsitzenden des Bonetti-Imperiums den Wilhelm Busch der "Krirtik des Herzens" aufzunehmen.

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    1. Habe die Gesamtausgabe im Regal, im letzten Jahr habe ich mal wieder einige schöne Stunden mit Busch verbracht :o)

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