Montag, 9. Mai 2016

Gedanken aus Franken, Teil 1

„Und die Nachrichten werden immer besser, sagt Hiob.“ (Fritz Rudolf Fries)
Heitere Begebenheit am Vatertag: Nach vier Seidla Zwickelbier im Garten des Greiffenklau zu Bamberg steuern wir eine Tankstelle an, um uns für die Weiterfahrt in die Fränkische Schweiz zu munitionieren. Eine ältere Dame mit Hund strebt ebenfalls dem Verkaufsraum entgegen. Das kleine wuschelige Fellbündel (i.e. der Hund) beschnuppert mein Bein und ich beuge mich hinunter, um es zu streicheln. „Na, Struppi. Komm mal her, Struppi. Wo ist denn der Struppi?“ So spiele ich eine Weile mit ihm, schiebe sogar meine Hand in sein freches Mäulchen, weil ich weiß, dass er nicht zubeißen wird. Das freudig erregte Haustier springt an mir hoch, der Schweif rotiert. „Woher kennen Sie denn meinen Hund?“ fragt die Dame und lacht mich an. „Ich kenne ihn gar nicht“, antworte ich. „Er heißt wirklich Struppi“, sagt sie und sieht mich ganz erstaunt an. „Ich nenne alle Hunde Struppi“, erkläre ich. Merke: In Bamberg gibt es tatsächlich noch Hunde, die „Struppi“ heißen.
Am Nachmittag sitzen wir bei Held-Bräu in Oberailsfeld in der Sonne. Neben mir auf der Bank hockt eine Katze, die mich erwartungsvoll anschaut, obwohl ich gar keinen Schweinebraten bestellt habe. Abends in der „Post“ in Waischenfeld: Ein kaum zweijähriges Mädchen im Kinderstuhl schaut mich mit großen Augen an wie Kinder eben oft riesenwüchsige Menschen anschauen, die geradewegs aus einem Märchenbuch entsprungen sein könnten. Ich lache sie an, sie bewegt die Arme als wolle sie ein weit entferntes Schiff auf sich aufmerksam machen, ich ahme alle ihre Bewegungen nach. Bald proste ich ihr mit Schnaps zu, sie hebt den Schnabelbecher. Die jungen Eltern bemerken das Spiel und lachen. Als sie gehen und die Kleine in den Kinderwagen setzen, winkt mir das lächelnde Rotbäckchen zum Abschied zu, ich winke zurück. Es sollte mehr Kinder und Tiere auf der Welt geben.
Der Mann war etwa zwei Meter groß, breitschultrig und korpulent. Man würde ihn nicht in einem koreanischen Kleinwagen erwarten.
Brüder, zur „Sonne“, zur Freiheit! Ein sympathischer kleiner Gasthof gegenüber der „Post“ in Waischenfeld, wo wir Quartier bezogen haben. Am Nachbartisch acht Männer aus Köln, die zum Angeln hier sind. Ich höre es nicht an den Gesprächen, ich sehe es an den acht Angeln, die in der Ecke stehen. Offenbar sind sie am Vormittag erstmal hier eingekehrt und hängengeblieben. Es geht hoch her, wie immer versetzt der Alkohol diese Männer um die fünfzig zurück ins Pennälerstadium. Ein alter Mann schleicht die Dorfstraße entlang. „Der läuft die hundert Meter aber auch nicht an einem Stück.“ „Quatsch! Der läuft für uns in Rio den Marathon.“ „Wie viele Übernachtungen sind denn erlaubt?“
Die junge Frau, die auf der winzigen Terrasse bedient, ist sagenhaft hässlich. Solche Menschen werden nur in Dörfern geboren und dort verborgen. Aber sie ist geradezu rührend freundlich und gewissenhaft – das genaue Gegenteil der studierten Kellnerschaft Berlins. Eigentlich hat sie schöne hellgrüne Augen, durch die Brille wirken sie riesenhaft und scheinen voller unerfüllter Hoffnung. Sie schielt nach außen, das Gesicht ist voller Warzen.
Am anderen Nachbartisch ein streitendes Ehepaar, Geschäftsleute aus Hamburg. Beide um die sechzig, sie Typ dürres Ex-Model. Er beginnt einen Satz mit „Ich stelle mir vor“, sie steht auf und sagt: „Ich gehe mal auf’s Klo und du stellst dir weiter was vor.“ Er murmelt „Das habe ich mir gedacht.“ Sie dreht sich um und fragt: „Was?!“ Er wiederholt laut: „Ich habe mir gedacht, dass du sowas sagst.“ Während sie weg ist, hat er den Kopf gesenkt, wackelt nervös mit den Knien und kratzt sich die Genitalien. Und genau in diesem Augenblick legt der Wind eine kahle Stelle an seinem Hinterkopf frei.
Alleine im Gasthaus. Nach zwei Bier bin ich wie Löschpapier, ich nehme Gespräche und Szenen, Geräusche und Gerüche in mich auf. Zwei Bier weiter ist alles vorbei und ich versinke in die Traumwelt meines inneren Monologs.
Männer in meinem Alter, die kantigen Gesichter wie aus Marmor gemeißelt, die im Arbeitskittel ins Gasthaus kommen und Zigaretten ziehen oder mit dem Vornamen „Adolf“ von der Kellnerin angesprochen werden.
Die rumänische Hilfskraft, die behutsam vom kugelrunden Wirt ins Thema Blumenkästen und Geranien eingeführt wird, ohne dass Begriffe wie „Leitkultur“ oder „Deutschland“ fallen. Treffen fünfzig Migranten auf fünfzig Deutsche, findet Integration nicht statt. In dieser Situation funktioniert es.
Kommen wir zu den Fakten: ein butterzartes Rumpsteak, Schuhgröße 45, an frischem Spargel. Kartoffeln und Sauce Hollandaise auf einem Extra-Tablett, da sie nicht mehr auf den Teller passten. Vier große Bier und zwei Birnenschnäpse. Und als es ans Bezahlen ging, hielt mir die Kellnerin das Portemonnaie entgegen und sagte: „Heute zahlt nicht der Gast, heute bekommt der Gast Geld. Nehmen Sie sich heraus, was Sie für richtig halten!“ Haargenau so ist es gewesen – oder der Blitz soll mich treffen. Im Ernst: 25 Euro für dieses Mittagsmahl – es ist unglaublich, oder?
The Blue Diamonds – Ramona. https://www.youtube.com/watch?v=5L6bHd8H7fU

10 Kommentare:

  1. Guten morgen Matthias...
    nur 4 große Bier...du lässt nach...
    also ich hätte 35 € entnommen (bezahlt)
    Gruß aus Berlin...
    Hubert

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    1. Moinsen, Hubert,

      über den Tag verteilt waren es 11 Bier und 4 Obstler, alles in allem also im Rahmen meiner vorolympischen Leistungsfähigkeit :o)

      Gruß aus Schweppenhausen
      Matthias

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  2. So ist der Runde also endlich wieder im Eckigen angelangt. Nach prächtiger Erholung im Frankenland wird Hochprozentiges und fränkisches Bier in den Schweppenhausenern Denkdestillen zu erquicklich seriöser literarischer Denkleistung gefiltert.
    Carry on that way. The best is yet to come.

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    1. Danke! In Schweppenhausen wird allerdings nur noch Seite um Seite aus dem Notizbuch ins Elektronische übertragen. Was nicht fränkisch genug ist landet im Blogstuff ;o)

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  3. Antworten
    1. Aber ausgerechnet Frank-furt ist hessisch.

      Verrückte Welt ...

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    2. Mir Frangge unterwandern alles!

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  4. Liest sich wie Geschichten aus dem Schlaraffenland...

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    1. Eines Tages rolle ich auch mal das Allgäu auf ;o)))

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  5. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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