„Darum betrachten die wahren Künstler nichts mit Verachtung: sie fühlen sich verpflichtet, zu verstehen, nicht zu richten. (…) Gleichzeitig lässt die Aufgabe des Schriftstellers sich nicht von schwierigen Pflichten trennen. Seiner Bestimmung gemäß kann er sich heute nicht in den Dienst derer stellen, die Geschichte machen: er steht im Dienste derer, die sie erleiden.“
„Seit ungefähr hundert Jahren leben wir in einer Gesellschaft, die nicht einmal die Gesellschaft des Geldes genannt werden kann (Geld oder Gold können sinnliche Leidenschaften wecken), sondern als Gesellschaft der abstrakten Symbole des Geldes bezeichnet werden muss. Die Gesellschaft der Händler kann als Gesellschaft definiert werden, in der die Dinge von den Zeichen verdrängt werden. (…) Es ist darum nicht verwunderlich, dass diese Gesellschaft eine Moral starrer Grundsätze zu ihrer Religion gewählt hat und dass sie die Worte Freiheit und Gleichheit ebenso gut über ihren Gefängnissen wie über ihren Finanztempeln anbringt. (…) Wie ist es da verwunderlich, wenn diese Gesellschaft von der Kunst verlangt hat, sie solle nicht ein Werkzeug der Befreiung sein, sondern eine Übung ohne große Bedeutung, eine einfache Zerstreuung?“
„Einheit und Vielfalt, und nie die eine ohne die andere – ist nicht gerade das die Formel unseres Europa? Es hat sich von seinen Widersprüchen genährt, sich an seinen Verschiedenheiten bereichert und durch ihre ständige Überwindung eine Kultur geschaffen, von der die ganze Welt zehrt, selbst wenn sie sie verwirft. Darum glaube ich nicht an ein unter dem Druck einer Ideologie oder einer technischen Religion geeintes Europa, dessen Verschiedenheiten nicht berücksichtigt würden. So wenig, wie ich an ein Europa glaube, das einzig seinen Verschiedenheiten ausgeliefert wäre, das heißt der Anarchie feindlicher Nationalgefühle. Wenn Europa nicht durch das Feuer vernichtet wird, dann ist seine Entstehung gewiss. Und Russland wird sich seinerseits dazugesellen, mit seiner Eigenart. Herr Chruschtschow wird es nicht fertigbringen, mich vergessen zu lassen, was uns mit Tolstoi, Dostojewskij und ihrem Volk verbindet.“
P.S.: Der Ertrag meiner heutigen Lektüre. Quellen: 1. Nobelpreisrede, 10. Dezember 1957 in Stockholm; 2. Der Künstler und seine Zeit, Vortrag vom 14. Dezember 1957 in Uppsala; 3. Die Wette unserer Generation, Interview, Demain vom 24. Oktober 1957. 1960 starb Camus im Alter von 46 Jahren bei einem Autounfall.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen