„Bring me my gun of itching desire / Bring me my bullets and I will fire“ (Depeche Mode: Told You So)
Man sollte über Tote nichts Schlechtes sagen. Man sollte die Toten auch nicht bestehlen. Und wenn man sie bestiehlt, während sie gerade beerdigt werden, ist das persönliche Karmakonto schnell in den Miesen, aber dieses Risiko musste Norma Winckler eingehen. Der Termin der Beerdigung stand in der Zeitung. Zu diesem Zeitpunkt würde also garantiert niemand im Haus des Verstorbenen sein und zum anschließenden Leichenschmaus wurde ins Café Bloch geladen.
Bequemlichkeit, Eitelkeit und Leichtsinn der Kundschaft gehören zur Grundausstattung eines erfolgreichen Einbrechers. Die Vordertür war aus massiver Eiche und wies zwei Sicherheitsschlösser auf. Die Fenster waren vergittert. Norma ging zur Rückseite des Hauses. Ein Wintergarten. Unvergittert – alles andere wäre unästhetisch gewesen. Und von Ästhetik hatte der Tote etwas verstanden. Der frühere Bankier galt als versierter Kunstsammler und Mäzen.
Sie holte den Glasschneider aus der Jackentasche und arbeitete sich durch zwei große Scheiben ins Innere des Hauses. Sie stand im Schlafzimmer des alten Mannes, der in der vergangenen Woche gestorben war. Es roch nach Desinfektionsmitteln, Hautcreme und aufgegebenen Träumen. Durch den angrenzenden Flur kam sie ins Wohnzimmer. Voila. Ein Matisse und ein Van Gogh, dazu eine filigrane Statuette von Giacometti.
Sie trug alles in den Lieferwagen, den sie vor dem Haus geparkt hatte. Im Haus gegenüber war die ganze Familie ausgeflogen. Doppelverdiener mit schulpflichtigen Kindern. Die Nachbarhäuser lagen verborgen hinter hohen Hecken und alten Bäumen. Ein ruhiges Wohnviertel, keine Durchgangsstraße. Kunstsammler verstecken ihre schönsten Stücke nicht in einem Safe. Nur hässliche Dinge wie Bargeld oder Wertpapiere verbannt man in ein finsteres Verließ.
Beim Gang durch das Wohnzimmer, den Salon und das Arbeitszimmer des Verstorbenen war ihr ein Sparschwein aufgefallen, das auf dem Schreibtisch stand. Eine Spielerei? Ein Erinnerungsstück? Sie drehte es um und öffnete den Verschluss am Boden. Es waren etwa hundert Krügerrandmünzen, die ihr entgegenklimperten. Etwa hunderttausend Euro in Gold. Hatte der Bankier das Porzellanschwein etwa für ein raffiniertes Versteck gehalten oder war er im Alter einfach leichtsinnig geworden?
Benedikt Lautenschläger hatte seinen Traum wahrgemacht. Er war Privatdetektiv geworden. Hatte ein schäbiges Büro gemietet und eine Fünf-Watt-Birne in die Fassung geschraubt, die von der Decke baumelte. Hörte die ganze Zeit melancholische Saxaphonsoli. Trug auch im Hochsommer einen zerknitterten Trenchcoat und einen lächerlichen Hut. War chronisch pleite, weil natürlich keine einzige atemberaubende Blondine jemals sein Büro betreten hatte, die in Lebensgefahr war und ihn um Hilfe bitten musste. Der Auftrag des Hehlers kam zum richtigen Zeitpunkt. Und der war bei Lautenschlägers finanziellen Lage jeden Tag.
Er folgte Normas Lieferwagen so auffällig, dass sie es merken musste. Und sie merkte es ziemlich bald. Wer fuhr in Magdeburg schon einen schwarzen Chevrolet? In aller Seelenruhe lenkte sie den Wagen in ein Parkhaus und fuhr hinauf in den letzten Stock. Dann stieg sie aus.
Lautenschläger stieg auch aus. Er war klein und mager, blass und kahl. Aber er hatte eine Pistole in seiner Hand.
„Sie sind Norma.“
„Wer will das wissen?“
Der Privatdetektiv grinste. „Wie die Supermarktkette?“
„Den Spruch höre ich heute zum ersten Mal, Süßer.“
„Kleine Planänderung. Ich übernehme die Bilder.“
Alles klar, dachte Norma. Ihr Tippgeber und Auftraggeber hatte sie verarscht. Ockhams Rasiermesser: Die einfachste Erklärung ist die richtige. Wenn sie überhaupt Geld sehen würde, dann höchstens einen Bruchteil der vereinbarten Summe.
Sie trug die Bilder zum Kofferraum des Chevrolet. Eins nach dem anderen. Am Schluss nahm sie die Statuette in die Hand und ging zu Lautenschläger hinüber, der die Waffe längst gesenkt hatte.
„Das ist das letzte Stück,“ sagte sie. Und dann warf sie den Giacometti mit einer solchen Wucht gegen den Schädel des kleinen Mannes, dass er bewusstlos zusammenbrach.
Sie stieg in ihren Wagen und fuhr auf die Straße. Ein paar Minuten später hatte sie die 110 gewählt und die Polizei informiert. Das Telefon warf sie wenig später in die Elbe. Den gestohlenen Lieferwagen würde sie am Bahnhof stehenlassen und mit dem nächsten Zug die Stadt verlassen. Egal wohin.
In ihrer Jackentasche klimperten die Goldstücke. Pippi Langstrumpfs Schatztruhe.
Depeche Mode - Told You So. https://www.youtube.com/watch?v=U4Bj6hhwWYA
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