Mittwoch, 30. Juli 2014
Last Exit Kelsterbach
Gerechtigkeit gibt es im Kapitalismus so wenig wie einen Gott im Marxismus. Aber es gibt die ganze schillernde Welt der Hoffnung und der Enttäuschung, von Gelingen und Versagen. Oft sind beide Sphären räumlich sehr eng miteinander verwoben: Vor einem unglaublich noblen Restaurant sitzt vor Kälte und Hunger zitternd der bettelnde Obdachlose. Im Restaurant sitzen der Finanzmogul Jochen Goldschildt und Andy Bonetti.
„Mister Bonetti, was halten Sie von den Demonstrationen gegen Israel wegen des Gaza-Kriegs?“
„Sie sind für mich ein Ausdruck von Narzissmus und westlicher Dekadenz. Niemand kann ernsthaft glauben, mit einer Demonstration, die nicht länger als eine übliche Sportveranstaltung oder ein Popkonzert dauert, einen Krieg, der viele tausend Kilometer entfernt stattfindet, stoppen zu können. Selbst wenn die Demonstrationsteilnehmer einen oder zwei Sprecher auswählen dürften, die mit den verantwortlichen Staatschefs reden – es würde sich nichts ändern. Keine Demonstration kann einen Krieg beenden. Aber es hilft den Demonstrationsteilnehmern, sie fühlen sich besser. Den Kriegsopfern hilft es nicht. Die Demonstranten haben jedoch das Gefühl, etwas getan zu haben. Das nenne ich Narzissmus.“
„Was halten Sie von der ständigen Kritik an den Banken?“
„Das ist eine rein rhetorische Problembearbeitung. Ich sehe nicht, dass die Menschen ihr Geld oder ihre Geschäfte von den Banken abziehen. Alles läuft weiter wie bisher, weil alle Menschen weiter wie bisher laufen. Selbst linksalternative Weltverbesserer haben ein Girokonto und einen Bausparvertrag.“
„Dann müssen wir uns keine Gedanken über die Demonstrationen vor unseren Verwaltungsgebäuden machen?“
„Nein. Das sind nur junge Leute, die ein Zeltlager oder eine andere Aktion veranstalten, um sich vor ihren Freunden und Freundinnen in der sogenannten Szene aufzuplustern. Reine Selbstdarstellung. Und die Zeltlager werden recht schnell von Roma und Sinti, von Asylbewerbern und Obdachlosen übernommen, wenn die wohlhabenden Akademikerkinder übers Wochenende in die heimischen Einfamilienhausviertel verschwinden.“
„Was sollen wir tun, Mister Bonetti?“
„Versuchen Sie, die besten von ihnen als Mitarbeiter zu gewinnen. Und dem Rest drehen Sie einen Investmentfond an oder eine Lebensversicherung.“
„Es tut immer gut, mit Ihnen zu sprechen.“
„Und ich freue mich immer wieder über einen gelungenen Dialog zwischen Wirtschaft und Kultur, Mister Goldschmidt. Wollen wir den Nachtisch bestellen?“
„Gerne. Die Creme brüllé soll hier ja ganz hervorragend sein. Es wird also keine Revolution geben, solange ich im Vorstand sitze?“
„Nö. Vergessen Sie’s. Alte Menschen machen keine Revolution mehr und sie sind langfristig in der Mehrheit. Junge Menschen werden durch neue Computerspiele und Social Media abgelenkt, wo sie sich gegenseitig Katzenvideos und Fotografien ihrer Mahlzeiten zuschicken.“
„Was halten Sie von der heutigen Jugend, Mister Bonetti?“
„Die Jugend ist immer gleich. Ihr Vorteil ist, dass sich das Rouletterad immer noch dreht, während wir Alten die Zahl leben müssen, die wir zufällig zugewiesen bekommen haben. Ihr Nachteil ist, dass sie sich verlieben und blind werden. Und dann gründen sie eine Familie und bereuen es ihr ganzes Leben. Die Natur ist teuflisch. Erst im Alter erkennen wir den Zufall und die Liebe als billige Taschenspielertricks des Schicksals.“
"Was fehlt dieser Welt?"
"Demut und Barmherzigkeit, mein lieber Goldmichel. Demut und Barmherzigkeit."
P.S.: Im nächsten Monat erscheint Andy Bonettis Frauenratgeber „Das war’s, Lars – So beenden Sie eine Beziehung richtig“.
Fischer Z – Luton to Lisbon. http://www.youtube.com/watch?v=g5Cs2VfjG50
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