Sonntag, 20. Juli 2014

Ein literarischer Briefwechsel

Der nachfolgend wiedergegebene Briefwechsel zwischen den beiden Schriftstellern und Büchnerpreisträgern Andy Bonetti und Johnny Malta stammt aus dem Jahre 2011 und soll im kommenden Herbst bei Suhrkamp in der Reihe „Dialoge der Weltgeschichte“ erscheinen.
„Lieber Andy, herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Roman ‚Die Pilger von Hanau‘. Ich habe das Buch gerade aus der Hand gelegt und bin noch ganz erschöpft von den vielen Eindrücken und Assoziationen. Der Text ist mit Anspielungen an die Weltliteratur geradezu gespickt. Die Figur des Pralinski ist der Erzählung ‚Eine dumme Geschichte‘ von Dostojewski entlehnt und der Bergomask ist eine Hommage an Thomas Pynchon und seinen Roman ‚V.‘, wenn ich mich recht entsinne. Die Szene am Schluss erinnert mich ein wenig an ‚Vom Winde verweht‘, aber es ist sehr kreativ, sie in Offenbach am Hauptbahnhof spielen zu lassen. Pralinski trägt seine Angebetete die Treppe zu den Toiletten hinunter und wir können nur ahnen, was als nächstes passiert. Genial! Anbei ein Vorab-Exemplar meines neuen Werks ‚Mein linker Zeigefinger‘. Ich bin gespannt auf dein Urteil. Herzlichst, dein Johnny“
„Lieber Johnny, vielen Dank für dein gütiges Urteil. Im Feuilleton der FAZ heißt es dazu ganz schlicht: ‚Ein großartiges Werk von bleibendem Wert‘. Ich habe schon ein wenig in dein Manuskript hineingelesen. Die Szene, wie dein linker Zeigefinger beim Kartenmischen mit den anderen harmoniert, ist ganz superb. Auch den faszinierenden Kern des Klavierspiels hast du gut herausgearbeitet. Die Hauptfigur in dieser Szene ist eine stumme Pianistin, die von einem Verehrer den rechten Zeigefinger mit einer Axt abgehackt bekommt. Irgendwie erinnert mich das an den Film ‚Das Piano‘. Sicherlich auch nur eine ‚Hommage‘. Kannst du dich noch an den herrlichen Abend erinnern, als wir auf Einladung des Frankfurter Kulturdezernenten die Premiere dieses Films in der Astor Film Lounge auf der Zeil gesehen haben und du am Buffet gestolpert bist? Du bist mit dem Ellbogen im Nudelsalat gelandet und hast dann zur Frau des Oberbürgermeisters gesagt: ‚Guck ned so blöd, du fette Sau!‘ Ein unvergesslicher Moment, den ich eines Tages sicherlich einmal literarisch verarbeiten werde. Ganz liebe Grüße, dein Andy“
„Lieber Andy, eine köstliche Geschichte. Das erinnert mich an den Empfang in der rumänischen Botschaft, als du so betrunken warst, dass du im Pelzmantel der dänischen Kronprinzessin nach Hause gehen wolltest. Ich habe die Szene in meinem Theaterstück ‚Ein Abend bei Mirko‘ verarbeitet und sie verleitet das Publikum bei jeder Aufführung zu wahren Lachstürmen. Ich kann dir die Arbeit am Theater nur wärmstens ans Herz legen. Man ist einfach näher dran am Publikum und kann aus den unmittelbaren Reaktionen der Zuschauer viel für das weitere künstlerische Schaffen lernen. Viele Grüße, dein Johnny“
„Lieber Johnny, das war mein Pelzmantel. Und wie kannst du dich überhaupt an die Szene erinnern, wenn du bereits lange vor Ende der Veranstaltung mit dem Krankenwagen in die Klinik gefahren wurdest, wo man dir den Magen ausgepumpt hat? Du hast damals im Vollrausch die minderjährige Tochter des Botschafters angebaggert. Erinnerst du dich wenigstens daran? Ich wusste gar nicht, dass deine Stücke noch aufgeführt werden. Ich hörte zuletzt, einzig und allein ‚Die Zwerge Roms‘ würde noch vom Schülertheater des Marburger John-Lennon-Gymnasiums gespielt. Aber ich kann mich auch täuschen. Schließlich beschäftige ich mich nicht mit dem Theater, sondern schreibe seit einem halben Jahr an meinen Memoiren, die ich unter dem Titel ‚Viva Bad Nauheim‘ zu veröffentlichen gedenke. Das Werk ist auf drei Bände im Schuber angelegt, die in Schweinsleder gebunden sein sollen. MfG, Andy“
„Lieber Andy, du willst mit deinen Lebenserinnerungen drei Bände füllen? Das ist mutig. Aber es gibt natürlich viele Anekdoten, die es verdienen, von dir erzählt zu werden. Da denke ich zum Beispiel an die Verleihung des Literaturpreises von Bad Nauheim, als dir bei der Verbeugung vor der Bürgermeisterin auf offener Bühne die Hose geplatzt ist. Und ich lache immer noch Tränen, wenn ich an deinen Talkshowauftritt bei Günther Jauch denke, als du ernsthaft behauptet hast, die Bücher von Boris Becker würden von der Literaturkritik systematisch unterschätzt. Aber da wäre natürlich noch die wunderbare Geschichte, wie du deine Frau beim Speed-Dating in Darmstadt kennengelernt hast. Wie romantisch! Johnny“
„Mein lieber Johnny, jetzt will ich dir mal eins sagen: Wer eine Frau hat, die er in einem drittklassigen Puff auf der Kaiserstraße kennengelernt hat, und wer einen Sohn hat, der gerade wegen Drogenhandels eine mehrjährige Haftstrafe absitzt, sollte die Klappe nicht allzu weit aufreißen. Ich bin dieses Jahr für den Grimme-Preis nominiert, weil ich mit dem Fernsehspiel ‚Dunkle Tage im Nichts‘ ganz neue Wege beschritten habe. Und du? Wenn ich nur an deine albernen Gedichte denke! ‚Schnee, Schnee, du bist so schee‘. Kein Wunder, dass unser Verleger immer nur den Kopf schüttelt, wenn jemand deinen Namen erwähnt.“
„Du weißt doch noch nicht mal, was ein Puff ist. Jeder in der Literaturszene weiß, dass du impotent bist. Wir fragen uns alle, wer die Väter deiner beiden hässlichen Töchter sein mögen. Und mein Gedichtband ‚Sonette für eine bessere Welt‘ ist gerade ins Koreanische übersetzt worden. Ich kann mich nicht erinnern, dass man von einem gewissen Herrn Bonetti irgendwas auf Koreanisch lesen kann. Und nur zu deiner Information: Ich habe gerade das Amt des Stadtschreibers von Fritzlar abgelehnt, das man an mich herangetragen hat. Und hör endlich auf, mich mit deinen Briefen zu belästigen! Ich bin Schriftsteller und habe zu arbeiten.“
Grace Jones – Slave To The Rhythm. https://www.youtube.com/watch?v=crsb7fdWflU

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