Freitag, 30. Juni 2023

Neue Heimat

 

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich pleite. Was sollte ich machen? Arbeiten? No way. Ein banges Herz, gefangen in einem dunklen Fettkerker.

Als ich die Sparkasse im Nachbardorf überfallen wollte, erklärte mir der Schalterbeamte, sie hätten weder Bargeld noch einen Tresor. Ob er mich jetzt mit leeren Händen wieder heimschicken wolle, fragte ich ihn. Er verwies mich auf den Bankautomaten im Vorraum.

„Damit machen Sie sich doch selbst arbeitslos“, schrie ich.

Er zuckte nur mit den Schultern.

Also fuhr ich in die Kreisstadt. Es wurde nicht besser. Mit dem erbeuteten Portemonnaie des Filialleiters floh ich durch die Innenstadt.

Bald hatte ich drei Streifenwagen, eine Hundestaffel und einen Hubschrauber hinter mir. Also floh ich in den einsamsten Ort der Welt: die Bibliothek. Niemand liest mehr.

Ich ging hinein und schaute eine Weile in die Karteikästen, bis die Bibliothekarin wieder in Minecraft vertieft war. Dann schlich ich mich zu den Bücherregalen und ging auf Zehenspitzen die Treppe hinauf bis in den zweiten Stock.

Hier herrschte eine himmlische Ruhe. Ich nahm mir einen der formidablen Romane von Andy Bonetti und setzte mich in einen alten Ledersessel. Es wurde Abend, es wurde Nacht.

Ich musste eingeschlafen sein, denn ich wurde von einer Putzfrau geweckt. Sie sprach kein Wort, aber ich wusste, was zu tun war. Ich verließ die Bibliothek und frühstückte beim Bäcker gegenüber. Dann kaufte ich Wein und ging zur Bibliothek zurück.

Hier lebe ich heute noch. Keine Miete, saubere Toiletten und genug zu lesen. 

P.S.: Ich habe ein Babyphon in der Polizeidienststelle versteckt. Wenn sie die Suche nach mir aufgeben, fange ich ein neues Leben an.

 

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