Freitag, 10. Juni 2022

Genuss ohne Reue

 

Es ist egal, ob du pleite bist. Du musst nur gut aussehen und selbstbewusst sein. Aus meiner früheren Zeit als Büroangestellter hatte ich noch einen dunklen Anzug und schwarze Lederschuhe. In dieser Ausstattung ging ich eines Abends ins Adlon und an der Rezeption vorbei. Ich stieg in den Aufzug und fuhr in den fünften Stock. Dort spazierte ich durch die Gänge, bis ich eine offene Tür sah, vor der ein Schiebewagen voller Handtücher und Putzmittel stand. Ich ging hinein. Das Zimmermädchen hatte gerade das Bett neu bezogen.

„Sie können morgen weitermachen“, sagte ich zu ihr.

Sie antwortete nicht und verschwand. Vermutlich sprach sie kein Deutsch.

Es war achtzehn Uhr und wahrscheinlich würde dieses Zimmer heute nicht mehr vergeben werden. Große Hotels sind nie vollständig ausgebucht, schon gar nicht im Januar. Ich zog meine Schuhe aus und legte mich aufs Bett. Das war genau das Leben, das mir gefehlt hatte. Auch arme Menschen haben einen Anspruch auf Luxus.

Nach einer Stunde rief ich den Zimmerservice an. Shrimps-Cocktail, Filetsteak und New York Cheesecake. Dazu eine Flasche Champagner. Als der Etagenkellner mein Abendessen brachte, unterzeichnete ich den Beleg mit irgendeinem unleserlichen Gekrakel.

Satt und zufrieden, umgeben vom Duft der frischgewaschenen Bettwäsche, schlief ich wie ein Baby.

Am nächsten Morgen nahm ich ein Schaumbad und ging anschließend in den Speisesaal. Das Frühstücksbuffet war unglaublich. Ich gönnte mir knusprige Croissants, frisches Obst, ein Viertelpfund Beluga-Kaviar, eine Käseomelett, Crêpe Suzette und Jamón Ibérico. Ich habe eine Stunde lang gegessen. Dann verließ ich das Adlon, neuen Abenteuern entgegen.  

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen