Es war
ein vielversprechender Morgen. Die Himmel war tiefblau und wolkenfrei. Heute
würde er das Neun-Euro-Ticket zum ersten Mal einsetzen. Er würde zum Berliner
Hauptbahnhof fahren und in den ersten Regionalzug steigen, der von hier abfuhr.
Eine Reise nach dem Zufallsprinzip. Über die Länge dieser Reise hatte er sich
noch keine Gedanken gemacht. Gepäck hatte er nicht dabei. Falls er ein paar
Tage blieb, konnte er sich irgendwo ein neues T-Shirt kaufen und das alte im
Mülleimer eines Hotelzimmers lassen.
Um 9 Uhr 30 stieg er im Hauptbahnhof aus der S-Bahn. Er holte sich ein Käsebrötchen und eine kleine Flasche Wasser, dann studierte er den Fahrplan. Um 9 Uhr 43 fuhr der RE 5 auf Gleis 5 los. Der Zug war pünktlich und trotz der preiswerten Monatstickets nicht überfüllt. Immerhin fuhr der Zug nach Norden, Richtung Ostsee. Aber die Schüler und Berufspendler waren längst an ihrem Ziel. Am Wochenende würde der Zug sicher voller sein. Es waren viele Rentner in seinem Großraumwagen, die sich lebhaft unterhielten. Jeder sprach von sich und seiner Familie, keiner stellte Fragen. Er setzte sich auf einen Fensterplatz, aß sein Brötchen und ließ die Landschaft an sich vorüberziehen. Eine endlose Abfolge von Wäldern, Siedlungen und Feldern. Auf beruhigende Weise belanglos.
In Neubrandenburg
stieg er aus. Es war halb zwölf und langsam bekam er Hunger und vor allem
Bierdurst. Er spazierte in Richtung Innenstadt, es waren nur wenige Leute auf
den Straßen. Durch das Neue Tor ging es in den alten Stadtkern. Er durchquerte
ihn und schlenderte im Westen die Stadtmauer entlang. Winzige Fachwerkhäuser. Kleine Häuser für kleine Menschen. Irgendwie unwirklich.
Auf
dem Weg zurück stieß er auf die „Mudder-Schulten-Stuben“. Er tippte den Namen
in sein Handy. Einheimische Küche. Das würde er ausprobieren. Er betrat das
Lokal und setzte sich an einen der vielen freien Tische. An den Wänden alte
Fotografien, Vorhänge und Boden in und Rot und Rosa. Geschmacklos eingerichtet,
aber er wollte ja auch nur etwas essen. Die Kellnerin kam und brachte die
Speisekarte. Er bestellte sich ein großes Bier. Grimbergen. Nie gehört. Aber
das war der Tag, an dem er einfach Neues erleben wollte.
Er bestellte sich „Kloppschinken“,
laut Karte ein altes traditionelles
Gericht der Bauern in Mecklenburg. Roher geräucherter Schinken, paniert und
zubereitet wie ein Schnitzel. Auf der Karte stand auch die unvermeidliche
Soljanka, die sich im Osten hartnäckig bis heute gehalten hat. Nach dem Essen
ließ er sich noch ein Bier und einen Schnaps bringen. Dann ging es gut gelaunt
zurück zum Bahnhof.
Der
nächste Zug, der kam, war der RE 4, um 13:33 direkt auf Gleis 1. Er fuhr bis Grambow.
Der Name gefiel ihm. Da steckte Rambo drin. Vor dem Bahnhof wartete schon ein
Bus. 15: 27, Bus 702. Er war der einzige Fahrgast. Der Busfahrer wollte noch
nicht mal sein Ticket sehen. Inzwischen war der Himmel grau geworden, vielleicht
würde es bald ein Gewitter geben. Er war enttäuscht, als er nur wenige Minuten an
der Endhaltestelle war und aussteigen musste. Ladenthin hieß der winzige
Weiler.
Niemand
war zu sehen. Keine Kneipe, keine Geschäfte. Noch nicht einmal Autos fuhren
durch den Ort. Nur lähmende Stille. Trostlose kleine Häuser, blinde Fenster.
Das Leben in diesem Teil der Welt musste vor langer Zeit erloschen sein. Er
ging eine Weile die Hauptstraße entlang und kehrte dann um. Wann würde der
nächste Bus fahren? Er schaute sich den Fahrplan an, sah auf seine Patek
Philippe Nautilus und war unangenehm überrascht. An diesem Tag würde kein Bus
mehr zurückfahren. Vielleicht konnte er ein Taxi aus der nächsten Stadt rufen?
Aber sein Handy hatte in diesem Drecksnest natürlich keinen Empfang.
Er
verließ den Ort Richtung Osten und kam bald an die polnische Grenze. Erst ein
Hinweisschild, dann ein Fluss. Also ging er wieder zurück. Inzwischen hatte er
die Orientierung verloren. Der Bus aus Grambow hatte nicht lange gebraucht. Es
müsste doch möglich sein, den Weg zurückzufinden. Er hatte die Schnauze voll
und wollte nur noch nach Hause. An der Landstraße war ein Wegweiser, der auf
einen Wanderweg nach Grambow hinwies. Er nahm den Weg und war kurz darauf in
einem dichten Wald. Tapfer ging er immer weiter und weiter.
Niemand
hat ihn je wiedergesehen.
Gehen...Espedal. Schlafen.....Brestaux.
AntwortenLöschenEspedal geht ja wirklich. Ich rede nur drüber.
LöschenDiese Geschichte würde ich verfilmen.
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