Freitag, 4. September 2015

Hollywoodmomente mit Andy Bonetti

„Sterben müssen wa alle, aber ick lass mir nich jerne drängeln.“ (Berliner Sprichwort)
Es ist jetzt etwa zwei Jahre her, dass Johann, der Adlatus von Andy Bonetti, seinen Herrn und Meister bewusstlos auf dem Fußboden seines Arbeitszimmers fand. Das rasch herbeiberufene Notarztteam stellte eine akute Alkoholvergiftung fest. Mister Bonetti konnte sich, während er in den Krankenwagen gehoben wurde, auf Nachfrage des zuständigen Personals weder an seinen Geburtstag noch an seinen Nachnamen erinnern. Aber er wusste immerhin noch, dass er Andy war.
Als er am nächsten Tag auf der Intensivstation des Bad Nauheimer Beverly Hills Hospitals aufwachte, trug er zum ersten Mal in seinem Leben einen Katheder, dessen Schlauch in einem durchsichtigen Plastikbeutel endete, der am Bettgestell befestigt war. In seinem Arm steckte eine Kanüle, von der ein weiterer Schlauch zu einem anderen Plastikbeutel führte. Ein Pfleger unterrichtete ihn über die wesentlichen Neuigkeiten und am Abend sah er das Champions League-Spiel von einem Krankenhausbett aus, nachdem er die zehn Euro für eine TV-Karte rausgerückt hatte. Am nächsten Tag kam eine Gruppe Ärzte in sein Zimmer, die – aufgrund der Tatsache, dass es sich bei Andy Bonetti um einen hochsensiblen Künstler handelte – entschieden, der Genuss von zwei Flaschen Bourbon seien ein Akt der Verzweiflung und damit ein Suizidversuch.
Bonetti wurde am darauffolgenden Morgen auf einen Rollstuhl geschnallt und in ein Satanorium gebracht. Auf der langen Fahrt hatte er ein gutes Gespräch mit einem jungen Pfleger. Im Satanorium traf er eine Menge merkwürdiger Leute. Sein Zimmergenosse, ein großer hagerer Mittvierziger mit einer Vogelnase, schlief auf dem Gang, kam aber mehrmals am Tag wortlos ins Zimmer, starrte eine Weile aus dem Fenster in einen leeren Hinterhof und ging dann wieder. Eine Frau war für einige Wochen zum Medikamentenentzug eingewiesen, der unter Aufsicht vollzogen werden sollte. Ein älterer Herr kam zum wiederholten Mal zur Behandlung seiner Altersdepression. Ein junger Mann hatte kurz vor seiner Hochzeit einen Nervenzusammenbruch erlitten, seine weinende Braut besuchte ihn jeden Tag. Ein Russlanddeutscher mit fünf Kindern, der so normal war, dass man die Welt nicht mehr verstand. Nach dem Mittagessen gab es einen Spaziergang unter der Aufsicht einer Krankenschwester, die einmal mit den willigen Stationsinsassen rund um das Satanorium lief.
Vier Tage später saß Bonetti wieder an seinem Schreibtisch, um einige Erfahrungen und Themen reicher.
P.S.: Diese Episode wurde von Bonetti in seiner Novelle „Houston, wir haben ein Poem“ verarbeitet. Auch das Stück „Wanna Dance In A Madhouse“, das er als Rapper N-D im Sommer 2014 veröffentlichte (Platz 7 in den Billboard Hot 100), bezieht sich auf diese Erlebnisse in der ersten Oktoberwoche 2013.
Capitols - Cool Jerk. https://www.youtube.com/watch?v=OX9nOCOjukQ

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