Samstag, 28. August 2021

Menschenhass

 

Kant unterscheidet in seiner Kritik der Urteilskraft (Zweites Buch: Analytik des Erhabenen) zwei Formen der selbstgewählten Einsamkeit.

Zum einen kann der Grund, sich zeitweise zurückzuziehen, darin liegen, dass man allein sein möchte, sich für den Augenblick selbst genügt oder in Ruhe über etwas nachdenken muss. Das heißt nicht, dass man ungesellig ist, sondern dass man in der Lage ist, ohne Gesellschaft einer Beschäftigung nachzugehen, ohne gelangweilt zu sein. Man liest, hört Musik oder geht spazieren. Ich denke auch an das in sein Spiel versunkene Kind. In diesen Bereich gehören ebenso Tagträume vom Leben in einsamen Landhäusern oder auf unbewohnten Inseln.

Die zweite Form ist die Misanthropie, der Menschenhass. Man ist vom Verhalten anderer Menschen frustriert, hat vielleicht schlechte Erfahrungen gemacht, und zieht sich von der Welt zurück. Manchmal ist auch einfach enttäuschter Idealismus der Grund, da aus der Perspektive des Misanthropen die Menschen hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben, um sich stattdessen oberflächlichem Konsum und banaler Zerstreuung hinzugeben. Zu diesem Hass, zu dieser Verachtung der gesamten Menschheit gehört natürlich ein gewisser Grad der Verallgemeinerung. Wie viele Menschen können wir in unserem Leben näher kennenlernen? Gibt uns die Erfahrung das Recht, von dieser kleinen Gruppe auf Milliarden Individuen zu schließen?

Der Misanthrop unterliegt auch einer seltsamen Schizophrenie. Wenn alle Menschen schlecht sind, ist er dann nicht auch schlecht? Oder ist er ein einsamer Gott unter lauter Teufeln, das einziger Opfer in einer Welt voller Täter? Warum ist ausgerechnet er selbst besser als alle anderen? Der Menschenhasser neigt, was Teilgruppen anbelangt, ebenfalls zur Verallgemeinerung. „Die Frauen“ oder „die Ausländer“ sind Gegenstand seiner Ablehnung. Alle Mitglieder dieser Gruppen sind für ihn gleich. Da er sich von der Gesellschaft abgeschottet hat, fehlen ihm auch die Möglichkeiten, neue und vielleicht andere Erfahrungen zu machen.

Warum erzähle ich das? Weil ich glaube, viele aggressive Dauerkommentatoren, die den ganzen Tag einsam vor dem Computer sitzen und in den sozialen Medien unterwegs sind, gehören zu dieser zweiten Gruppe. Ich selbst zähle mich zur ersten Gruppe. Ich bin gerne allein, aber ich bin auch gerne für einen begrenzten Zeitraum in Gesellschaft. Zum Glück trifft man die Menschenhasser im echten Leben nicht. Sie haben keine Freunde, sie werden nicht eingeladen. Gelegentlich begegnet man ihnen an der Supermarktkasse oder im Straßenverkehr. Sie haben sich ihre eigene Hölle geschaffen.

R.I.P. Scott Walker: The Walker Brothers - The Sun Ain't Gonna Shine Anymore - YouTube

10 Kommentare:

  1. Die Erkenntnis, alleiniger Checker der Wahrheit zu sein, ist ja schon mal Grundvoraussetzung für den Zugang zu VT's.
    Andererseits scheint hier das Internet heilende Wirkung zu haben. Vermutlich würden all diese Quer- irgendwas im Laufe der Zeit zu Misanthropen, psychisch Kranken oder Terroristen.
    Als Einzige(r) die Wahrheit zu wissen und niemand im persönlichen Umfeld versteht Eine(n), das kann nur in den Irrsinn führen.
    Aber dank Fratzebuch sieht man ja, wir sind Millionen, nur leider weit verstreut. Selbsthilfe par Excellence.
    Zu dem Thema gibt es ein passendes Zitat aus einem Asterix-Comic:
    "Buhuuhuu, sie sind alle so dumm, und ich bin ihr Chef".

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  2. Erinnert mich an den misanthropischen Aphorismus "Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere!"

    Quelle: https://tinyurl.com/mb4dncn9

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  3. Events im August 2021
    28 Sa

    Maus-flitz-Tag

    ... 🐁 💻 😜 *Zweck - FREUNDSCHAFT... hehe*

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  4. Antworten
    1. DasKleineTeilchen28. August 2021 um 22:17

      yep! als betroffener solltest du das am besten wissen, ne?

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  5. Flatter hat erkannt, dass auch ich verallgemeinert habe. Dieser gerissene Hund.

    Dann hat Kant aber auch verallgemeinert. Und Marx findet alle Kapitalisten doof, obwohl er nur wenige persönlich kennengelernt hat.

    Ich werde dich im Auge behalten, Laschet-Untertan!

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    1. Der Marxismus ist doch der Gipfel der Verallgemeinerung. Die ganze Menschheit wird auf zwei Schulbaden ("Klassen") verteilt. Dazu eine primitive Gut/Böse-Dichotomie, die man von Religionen kennt. Und dazu brauchen Marx und Engels gefühlte 50.000 Seiten, die kein Schwein lesen will.

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    2. DasKleineTeilchen28. August 2021 um 22:15

      garnich! die ultimative verallgemeinerung ist doch "die menschheit" :p

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    3. Flatter würde nie verallgemeinern.

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  6. Wer seid ihr und was wollt ihr von mir? Wieso habt ihr das getan?

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