„Ein guter Lehrer bleibt ein Schüler bis an das Ende seiner Tage.“ (Chinesisches Sprichwort)
Früher habe ich in meiner Ingelheimer Stammkneipe immer einen Typen namens Duffy getroffen. Der kleine Mann mit der quäkenden Stimme wusste alles besser. Er konnte endlose Vorträge über Stereoanlagen oder seine Lieblingsmusik (Jethro Tull!) halten und würgte Gegenargumente grundsätzlich mit dem Satz „Doch, das ist so“ ab. Und dann ist Sydney eben die Hauptstadt Australiens. Damals gab es noch keine Smartphones, um seine Thesen direkt am Tresen widerlegen zu können. Irgendwie ein bisschen wie bei Lucke, dem Weltökonom, der eine Partei nach der anderen gründet. Leider habe ich Duffy aus den Augen verloren. Er wohnt aber immer noch bei seinen Eltern und ist Schalterbeamter bei der Deutschen Bahn geworden. Alles andere wäre ja auch Quatsch gewesen.
Ich habe längst einen neuen Duffy. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an einer Fachhochschule am Rande der Galaxis, und ich habe die Ehre, mich regelmäßig seiner ausführlichen Erläuterungen zu den wesentlichen Fragen der Menschheit zu erfreuen. Er beherrscht seinen auswendiggelernten Theoriequark, den er seit Jahrzehnten zur Erbauung seiner Studentenschaft unverändert wiederkäut, selbstverständlich perfekt, gelegentlich hapert es aber an der Umsetzung in die Praxis. Die alte Geschichte: Theorie und Empirie passen beim deutschen Beamten nicht immer zusammen. Aber das ist vielleicht auch ganz gut so. Was wäre, wenn die Duffys dieser Welt tatsächlich die Züge fahren und die Unternehmen leiten würden? Der deutsche Beamtenapparat verhindert vermutlich mehr Unheil, als wir ahnen.
Jetzt hat der VWL-Duffy ein praktisches Problem. Sein Kühlschrank ist kaputt. Nach acht Jahren. Deutsches Markenprodukt. „Familienunternehmen aus Tradition“, wie es auf der Homepage heißt. Also ruft er den Kundendienst an. Der Kundendienst kommt und stellt fest, dass der Kühlschrank repariert werden muss. Darauf wartet er nun seit Wochen. Und das in diesem Jahrhundertsommer (der wievielte eigentlich?). Keine kalten Getränke, keine kühlen Nahrungsmittel wie zum Beispiel Butter. In seiner winzigen Mansardenwohnung, die zu einer Zeit gebaut wurde, als Isolation noch als Begriff zur Umschreibung der deutschen Außenpolitik verwendet wurde, herrschen über dreißig Grad. Nach eigener Auskunft tropft ihm der Schweiß auf die Tastatur seines Notebooks.
Er wartet weiter. Ich rege den Kauf eines Ventilators an. Der Volkswirt erklärt mir, dass sich die Anschaffung eines Ventilators nicht rentiere, da es ohnehin nur an wenigen Tagen im Jahr überdurchschnittlich heiß sei. An den Klimawandel glaubt er im Übrigen nicht, der Geizonom hält das Phänomen für linke Propaganda (inklusive BILD und Weißes Haus) und plumpe Beschaffungsrhetorik der Klimaforscher, die anderen Fachrichtungen die wertvollen Forschungsmittel entzögen.
Ich diskutiere an diesen Punkt gar nicht erst, weil wir uns ansonsten vom spannenden Feld der Praxis entfernen würden und im uferlosen Bereich seiner Theorien landen, wonach die Volkswirtschaftslehre die „Königsdisziplin“ der Wissenschaft sei und weitaus bedeutender als etwa die Medizin. Ich frage einfach, wie er sich in dieser Hitze ernährt. Morgens hole er sich frisches Obst und mixe sich Smoothies, erklärt er. Abends ginge er in eine Pizzeria, wo man ihn inzwischen aufgrund seiner äußerst eingeschränkten Ernährungspräferenzen mit der Frage „Wie immer?“ begrüßen würde.
Seine Freundin habe ihm aber neulich erklärt, wie man eine Pizza telefonisch oder online bestellt. Mit leuchtenden Augen erläutert er mir ausführlich das Geschäftsmodell eines ortstypischen Lieferservice, das ihm selbstredend gänzlich neu ist und darum auf ihn regelrecht innovativ wirken muss. Ich erwähne nicht, dass es dieses Phänomen seit Jahrzehnten gibt und ich mich ungefähr ebenso lange auf diese Weise ernähre. Nein, ich lausche, mühsam die Contenance bewahrend, dem Referat des großen Entdeckers, der ganz im Banne der eigenen Feldforschung ist. Pizza – nach Hause! Einfach anklicken. Nein! Doch!! Nein!!!
Ich lasse ihn ausreden. Diese Leute werden irgendwann müde. Auch die Duffys und Luckes dieser Welt müssen gelegentlich mal einen Schluck trinken. Und so grätsche ich im richtigen Moment dazwischen. Man könne nicht nur Pizza online bestellen, sondern auch Kühlschränke und Ventilatoren. Ich hätte mir, da ich kein Auto besitze, meinen PC, meinen Fernseher, Schuhe, Klamotten, diverse Möbel und … - meinen Kühlschrank sowie den hollywoodesken Hochleistungsventilator auf diese Weise an die Haustür liefern lassen. Man müsse doch bei dieser Hitze nicht wochenlang auf den Kundendienst und eine Reparatur warten. Ein neuer Kühlschrank kostet etwa so viel wie die Wartung des alten Hobels plus Anfahrt.
Er überlegt einen Augenblick und sagt dann: „Doch, das ist so.“ Brauchen wir diese Art von Wissenschaft bzw. diesen Typus von Wissenschaftler eigentlich im 21. Jahrhundert noch? Überflüssig zu erwähnen, dass er alle Diskussionsbeiträge angelsächsischer Fachkollegen wie Krugman und Stiglitz, beide Nobelpreisträger, sowie die gesamte Fachpresse vom „Economist“ bis zur „Financial Times“ zur Griechenlandfrage für ausgemachten Blödsinn hält, den man nicht ernst nehmen müsse. Er selbst vertritt in Presse (FAZ u.a.), Funk (Deutschlandradio u.a.) und Fernsehen (ZDF-WiSo u.a.) natürlich die Schäuble-Doktrin.
Andererseits: Was machen diese Menschen, wenn sie den ganzen Tag draußen herumlaufen würden? Außerhalb ihrer Büros und Kinderzimmer? Ihr Kontakt zur Welt der Wirklichkeit ist längst abgerissen. „Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein.“ Indem wir Steuerzahler ihnen ein Leben zwischen Puppen und Legosteinen in einem Elfenbeinturm ermöglichen, halten wir sie uns vom Leib und können sie gleichzeitig betrachten wie Zootiere.
P.S.: Ich habe Ihnen ja noch gar nicht erzählt, wie die Geschichte mit dem Kühlschrank ausgegangen ist. Das Ende ist eigentlich das lustigste an der ganzen Sache. Vor einigen Tagen hat die Kühlschrankfirma den Herrn Professor angerufen und ihm erzählt, das Gerät sei nicht mehr zu reparieren. Man biete ihm aber ein Neugerät mit dreißig Prozent Rabatt an. Einer der ältesten Tricks der Welt. Sie bekommen Rabatt! Sie sparen bares Geld, wenn Sie jetzt unterschreiben!! Der Volkswirt fällt natürlich drauf rein. Ohne nachzudenken, willigt er am Telefon ein.
Eine kurze Recherche im Internet, z.B. bei Amazon (Dauer: 1 Minute), hätte ihm gezeigt, dass er – trotz Rabatt – mehr für den Kühlschrank gezahlt hat als für ein vergleichbares Gerät einer anderen Marke. Als ich ihn mit diesen Fakten konfrontiere, antwortet er lapidar, er hätte keine Zeit, um Preise zu vergleichen. Der Mann, der gerade Semesterferien und ab Oktober ein Forschungsfreisemester vor der Brust hat, der Mann, der in diesem Jahr nicht mehr arbeiten muss (und im nächsten Jahr erst wieder im März), hat also keine Zeit, um eine vernünftige Kaufentscheidung für ein Gebrauchsgut zu treffen, das ihn mehrere hundert Euro kostet und viele Jahre halten soll.
Danke! Solche Leute würden heutzutage in einem normalen Unternehmen noch nicht einmal die Probezeit überstehen. Und auf die Studenten, die von diesem Ökonom ausgebildet werden, darf sich die deutsche Wirtschaft jetzt schon freuen.
Pulp - Common People. https://www.youtube.com/watch?v=yuTMWgOduFM
Und hier die Version für Trekkies: https://www.youtube.com/watch?v=zI3UfxyIdgs
P.P.S.: In ein paar Tagen sehe ich Duffy Zwo (der in Wirklichkeit Harley Rübenbauer heißt) wieder. Ich weiß, dass er diesen Blog liest. Ich werde Ihnen berichten, wie er auf diese Majestätsbeleidigung, nein, das Wort ist zu schwach, auf diese Gotteslästerung reagiert hat. VWL ist bekanntlich eine Weltanschauung, keine Wissenschaft. Die Ökonomen sind den Theologen sehr ähnlich. Es fällt ihnen schwer, Kritik oder eine andere Meinung zu akzeptieren.
Ich bin mir nicht sicher, ob uns der dichotomistische Dialektismus von Deo und Plastik an diesem Punkt weiterbringt.
AntwortenLöschenEcht nicht.
Habe mal in Berlin auf einem Empfang einen Physik Professor getroffen.
AntwortenLöschenPhysik !!
Professor !!
Die Spitze der Nahrungskette.
Er meinte es gäbe keine Alternative zur Atomkraft.
Hnnng...hhhhhhh....hooohhhhhh..........
Wer hat mich so erzogen, daß ich Ihm nicht sofort die Fresse poliere ?
Warum macht man so was nicht ????
Köstlicher Beitrag zur Physiognomik der Nach-Kartler, gegen die jede Praxis immer unrecht hat.
AntwortenLöschenDu wohnst doch in Ingelheim, Gitano, der Herr Professor auch. Ich war mit ihm auf der Feier zum 125. Geburtstag des SMG. Dort hat auch der Vorstandsvorsitzende von Boehringer, Hubertus von Baumbach, als ehemaliger Schüler eine Rede gehalten. Danach hat der Professor mir zwei lange Sonntagsspaziergänge hintereinander krampfhaft klarzumachen versucht, dass sein Leben besser sei als das von Hubertus von Baumbach. Allein der Vergleich zwischen ihm und dem mit Abstand erfolgreichsten Unternehmer der Region, der Deutschlands zweitgrößten Pharmakonzern leitet, ist doch wohl krank, oder? Jedenfalls meinten das alle, denen ich die Geschichte erzählt habe. Meine Schwester arbeitet ja als Sekretärin bei Boehringer. Und seine Argumentation (u.a.: „Ich kann zweimal die Woche in der Rheinwelle in die Sauna gehen, während der Baumbach die ganze Woche im Büro schwitzt“) ist so lustig, dass jeder fragt, ob das auch wirklich wahr ist. Es ist wahr, meine Damen und Herren, denn ich war live dabei.
AntwortenLöschenEin traurig stimmendes Dingsda:
AntwortenLöschenJeder Penner kennt einen, der noch weniger hat als er. Und jeder Scheisshaufen rühmt sich seiner glänzenden Glätte vor den geruchlosen Steinen. (Es geht mir nicht um eine persönliche Invektive, sondern um den elenden Mechanismus dieser Denkfigur.)
Gehört zwar in die Sozialpathologie der Konkurrenzgesellschaft, ist aber genau deswegen stinknormal und beeinträchtigt die Funktionstüchtigkeit dieser Normfiguren keineswegs.
War mir das interessant zu lesen. Bin nämlich nur reingeschneiter "Messfremder".
Hat wirklich Vergnügen bereitet das zu lesen. Die Duffys gibt es doch überall. Selbst im engen Freundeskreis.
AntwortenLöschenÜber den VWL-Duffy stimmen die Studenten mit den Füßen ab. In sein letztes Seminar haben sich gerade noch 8 Leute verloren. Er hatte insgesamt ca. 100 Klausuren zu korrigieren, die Kollegen das Vierfache. Sie haben ihn an seiner FH zu Verwaltungsarbeit und zur Teilnahme an einem Qualitätszirkel verdonnert, um ihn möglichst von den Studenten fernzuhalten.
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