Dienstag, 18. August 2015

An der Informationsfront

„Der Präsident trifft Entscheidungen. Er ist der Entscheider. Der Pressesprecher gibt diese Entscheidungen bekannt, und Sie, die Presseleute, tippen diese Entscheidungen ein. Entscheiden, bekanntgeben, eintippen. Nur kurz durch die Rechtschreibprüfung und Feierabend. Wieder mehr Zeit mit der Familie verbringen. Mit Ihrer Frau ins Bett gehen. Den Roman schreiben, den Sie schon lange im Kopf haben. Den über den unerschrockenen Reporter aus Washington mit dem Mut, der Regierung entgegenzutreten – Fiktion eben!“ (Stephen Colbert)
Die Sonne stand schon hoch am Himmel und am Ende des riesigen Raums flimmerte immer noch der Fernseher. Meine Suite im siebten Stock. Natürlich. Im Belvedere Plaza. Richtig. In Bashikistan. Scheiße.
Ich räumte die leere Flasche Jack Daniel’s vom Nachttisch und zog das altmodische Telefon heran.
„Hallo? Ja, Zimmer 729. Ich hätte gerne zwei Cheeseburger und eine Flasche Cola. Eiskalt, bitte.“
Als der Etagenkellner klopfte, war ich schon angezogen und geduscht.
Er stellte das Tablett auf den Tisch am Fenster, nahm mit ergebener Miene mein Trinkgeld entgegen und verschwand geräuschlos.
Die Colaflasche stand in einem Eiskübel, aber auf den Burgern fehlten der Salat und die Tomatenscheibe. Offenbar wurde das Hotel nicht mehr mit frischem Gemüse versorgt. Ich fragte mich, wann ihnen die tiefgefrorenen Burger-Patties ausgehen würden.
Ich sah aus dem Fenster. Tief unter mir lag der Pool. Zwei Männer in schreiend bunten Hawaiihemden, mit riesigen schwarzen Sonnenbrillen im Gesicht, saßen im Schatten an der Bar. Das mussten Bill und John sein. BBC und CNN.
Nach dem Essen schnappte ich mir mein Notebook und meine Sonnenbrille und fuhr mit dem gläsernen Aufzug in die Lobby hinunter. Viel Security in khakifarbener Uniform, ein paar Nutten und nur wenige Gäste. Ich ging hinaus in die grelle Sonne und lief zum Pool hinüber.
„Schmidt. Du lebst noch?“
John grinste mich an und hob sein Cocktailglas. Ich heiße gar nicht Schmidt, aber die beiden angelsächsischen Korrespondenten hatten sich darauf geeinigt, mich so zu nennen. Offenbar war es gestern wieder spät geworden. Ich bestellte mir eine Caipiroska und setzte mich zu ihnen.
„Was gibt’s Neues?“
„Um drei Uhr bringt die Pressesprecherin des Präsidenten Material vorbei. Können wir alles nutzen. Wer Lust hat, darf mit ihr ein bisschen durch die Stadt fahren“, sagte Bill und sog geräuschvoll an seinem Gin Fizz.
Aus der Ferne hörte man das Knattern automatischer Waffen. Brandgeruch lag in der Luft.
Ich klappte mein Notebook auf. Ich gab „Bashikistan“ als Suchbegriff ein und klickte auf News. Alle schrieben das gleiche. Der Präsident habe die Lage unter Kontrolle. Die Rebellen hätten einige Vororte besetzt. Außerhalb der Hauptstadt sei die Lage unübersichtlich. Ich sah mir die einschlägigen Blogs der Einheimischen an, die auf Englisch posteten. Der „Bashinator“ schrieb von heftigen Kämpfen am Verteidigungsministerium in der Nacht. Außerdem sei ein Munitionslager in die Luft geflogen. Ich hatte wirklich einen gesunden Schlaf. Von all dem hatte ich in meiner Suite nichts mitbekommen. „Wardog“ schrieb, die Hafenstadt Kandiri sei fest in Hand der Rebellen und einige regierungstreue Truppen seien zu ihnen übergelaufen. Ich klickte weiter. „Seite konnte nicht gefunden werden“. Ich versuchte es woanders. Immer das gleiche Bild.
„Sie haben das Netz abgeschaltet“, sagte ich.
„Dann kommen wir langsam zum Showdown“, sagte John. „Wird Zeit, dass wir hier wegkommen“.
Die Pressesprecherin hatte für jeden von uns einen Stick mit dreißig Minuten Bildmaterial, das wir vom Hotelserver aus an unsere Sender schicken durften.
Dann fuhren wir in einem gepanzerten Fahrzeug vom Boulevard der Freiheit, an dem das Hotel stand, ins Stadtzentrum. Durch die gepanzerten Scheiben war zwar nichts zu hören, aber in den Seitenstraßen sahen wir brennende Autos und Barrikaden.
Alle fünfhundert Meter war ein Checkpoint mit jungen Soldaten, die ihre Gewehre lässig von der Schulter baumeln ließen und Zigaretten rauchten. Sie winkten uns durch, ohne uns zu kontrollieren.
Als wir wieder im Hotel waren, hatte ich noch eine Stunde und zwei Whisky Sour Zeit, um meinen Text zu schreiben. Vor der blauen Wand im Showroom, der sich im Erdgeschoss befand, sprach ich meine einsdreißig vom Teleprompter. In der Nachrichtensendung würde man einige bewegte Bilder vom Präsidentenpalast im Hintergrund zeigen, die wir schon vor Wochen aufgenommen hatten. Shuffle-Modus. Sieht immer live aus.
Wie es heißt, sinkt das Interesse an Bashikistan. Rapider Zuschauerschwund. Aber in der frangelischen Republik (ehemals: Königreich Frangelia) soll es Unruhen geben. Vermutlich werde ich bald dorthin müssen. Und an der Hotelbar werde ich John und Bill treffen.
The Chameleons – Looking Inwardly. https://www.youtube.com/watch?v=MOFBdaZmUlI

2 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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    1. Aber nur wegen eines Schreibfehlers entfernt.
      Hier der emendierte Text:

      In Bashistan gleich nebenan geht es laut Verblödungsmaschine genau so zu. Aber genau darüber geht ja diese erbleichen machende Fiktionalisierung des Colbert-Zitats.
      Gewinn ?
      Die Wohlstandsverwahrlosung welkenden Gerhirngemüses in mehreren Hinsichten nachvollziehbar gemacht.
      Ästhetik ist doch kein leerer Wahn.
      Wohingegen Idealismus ein Lehrerwahn.

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