„Sein Gesicht sieht aus, als hätte ihm das Leben verächtlich lachend mit voller Faust hineingeschlagen …“ (Thomas Mann: Tobias Mindernickel)
Ich sitze auf einer Bank am Bahngleis, als ein Mann vorüberschleicht. Er ist hochgewachsen und schlank, er hat einen honigfarbenen Vollbart und lange Haare, ein fein geschnittenes Gesicht und große dunkle Augen. Seine schwarze Jacke ist zerrissen, seine Socken haben Löcher, er starrt vor sich hin und wispert in einem endlosen Selbstgespräch sinnloses Zeug.
Jeder kennt ihn. Es ist der Friedhofswächter. Vor vielen Jahren wurde der alte Friedhof geschlossen und ein neuer Friedhof vor der Stadtmauer angelegt. Für den alten Friedhof wurde ein Wächter eingestellt, der in einem Haus an der Friedhofsmauer wohnt. Immer, wenn ein Besucher auf den alten Friedhof wollte, musste er durch das Haus des Wächters, denn das alte schmiedeeiserne Tor hatte man längst geschlossen. Wenn man das Haus betrat, musste man eine steile Treppe zum Zimmer des Wächters erklimmen. Das Zimmer war düster und bis zur Decke mit langen Bücherregalen gefüllt. Hier saß der Wächter und erzählte dem Besucher die Geschichten der Toten.
Wenn man selbst auf den Friedhof wollte, musste man auf den hölzernen Balkon hinter dem Sessel des Wächters treten und eine Wendeltreppe hinabsteigen. Auf dem Friedhof standen uralte Bäume mit ausladenden Kronen, die Wege und Grabsteine waren von Efeu und Schlingpflanzen überwuchert, so dass man kaum noch die Namen der Toten lesen konnte.
Es ist lange her, dass jemand den alten Friedhof besucht hat, und so ist der Wächter verrückt geworden und irrt noch heute durch die Welt.
The Black Keys - Ten Cent Pistol. https://www.youtube.com/watch?v=dBLjweU5iv4
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