Donnerstag, 13. August 2015

Unsere neuen Diener

Die Bilder, die wir in diesem Sommer von Flüchtlingslagern in Deutschland sehen, erinnern mich an die Bilder von der bundesdeutschen Botschaft in Prag 1989.
Mit den Menschen kommen neue Biographien in unser Land.
Der junge Mann als Mali, der am Checkpoint Charlie Sonnenbrillen an amerikanische Touristen verkauft. Bei der nächtlichen Fahrt durch die Sahara ist sein bester Freund, der mit ihm gemeinsam das Dorf verlassen hat, von der Ladefläche des Pick-up gefallen. Der Fahrer hat nicht angehalten.
Die junge Frau aus Afghanistan, die ohne Arbeitserlaubnis die Wohnung eines Rechtsanwalts in Krefeld putzt. Die Taliban drohten ihr mit Steinigung, weil sie Lesen und Schreiben lernen wollte.
Der Mann aus Syrien, der mit einem umgeschnallten Bratwurstgrill durch Frankfurt läuft. Auf dem Boot, in dem er mit anderen Flüchtlingen saß, waren auch seine beiden Kinder. Die Frau ist im Bürgerkrieg gestorben. Seine zweijährige Tochter hat man über Bord geworfen, weil sie nicht aufhörte zu schreien und die anderen Flüchtlinge Angst hatten, entdeckt zu werden. Sein kleiner Sohn wartet in der Wohnung, die er sich mit Fremden teilen muss, auf seine Heimkehr.
Die Frau, die in einer Münchner Einkaufsstraße auf dem Boden sitzt und bettelt. Sie könnte Ihnen aus der Hand lesen, wenn Sie Ihren Ekel überwinden und sich von ihr berühren lassen würden. Besser als jedes Horoskop! In Albanien hat man sie mit Steinen beworfen, wenn sie das Roma-Ghetto verlassen hat.
Wie verzweifelt muss man sein, wenn man sich danach sehnt, Dienstbote des weißen Mannes zu werden?
P.S.: Ich habe keinen Job, keine Freundin und noch nicht einmal ein Auto. Ich bin fett, faul und versoffen. Aber ich bin als gesunder deutscher Junge auf die Welt gekommen. Das reicht schon für ein gutes Leben. Seit 49 Jahren. Morgen habe ich Geburtstag und feiere mit guten Freunden und ebenso gutem Whisky. Übermorgen sitze ich zur Eröffnung der Fußballbundesliga im Stadion von Mainz 05, umgeben von großzügigen Freunden, die mir den Besuch bezahlen. Ich lese gerade „Snack Daddys abenteuerliche Reise“ des großartigen Gary Shteyngart und darf mich unbeschwert über mein amerikanisches Alter Ego amüsieren. Merkwürdiger Planet.

2 Kommentare:

  1. Ich bin auch als gesunder deutscher Junge auf die Welt gekommen. Das reichte auch schon für ein gutes Leben. In physischer Hinsicht.

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    1. Aber in diesem Land gibt es auch hervorragende Sedativa und Antidepressiva, oder? Und wenn man dann noch die beste Presse der Welt ignoriert, kommt man irgendwie durch den Tag.

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