Samstag, 13. September 2014

Kein Trend ist mir fremd

Woher kommen eigentlich Trends? Was würde geschehen, wenn ich einen Trend zu seinem Ursprung zurückverfolge? Treffe ich einen froschgesichtigen Spinner mit Hornbrille in einem Hinterhof von Bilbao? Klopfe ich an die Blockhütte eines weißhaarigen bärtigen Aussteigers in den Wäldern Oregons? Nein, ich komme zu einem blitzblanken Büroturm in London oder in die trostlosen Räume einer Agentur in Tokio. Eines dieser „Geschäftsmodelle“, die man am unbenutzten Kicker und den kostenlosen Softdrinks erkennt, mit denen man ahnungslose Berufsanfänger in die Hölle unbezahlter Überstunden lockt. Trends werden gemacht, sie werden von professionellen Trendsettern hergestellt wie Kühlschränke oder Socken. Man erkennt einen Trend zuverlässig daran, dass eine uralte Sache recycelt und gepimpt wird. Man verpasst ihr ein paar Anglizismen und eine Verkaufsideologie („Philosophie“ genannt … armer Sokrates) – fertig ist der Trend.
Es versteht sich, dass immer nur die jungen Leute auf diese Masche hereinfallen, denn die alten Leute kennen den Trend schließlich schon. Und weil sie auf die Marketingmasche nicht mehr hereinfallen, werden sie von der hochnäsigen Jugend als hoffnungslos rückständig verachtet. Die Nummer funktioniert immer. Der neueste Trend: „Share Economy“. Es ist also der allerneueste Schrei, Dinge mit anderen Menschen zu teilen. So, so. Booksharing zum Beispiel. Crazy Shit – wir machen den Kapitalismus awesome menschlich! Nannte man zu meiner Zeit – Achtung, Grandpa Simpson fängt an zu erzählen - einfach Leihbibliothek. Gibt es überall. Und es war auch ganz normal, dass man sich in der Familie oder im Freundeskreis gegenseitig Bücher geliehen hat. Schallplatten und Bohrmaschinen übrigens auch. Es soll Nachbarschaften geben, in denen sich die Menschen gegenseitig die Blumen gießen, wenn jemand im Urlaub ist. Oder wo man einfach eine wildfremde Katze füttert, weil Jutta Dembowski aus dem dritten Stock im Krankenhaus liegt.
„Share Economy“ ist so alt wie die Menschheit. Am Anfang waren das geteilte Obst und Gemüse, das gemeinsam erlegte und geteilte Wild, das geteilte Feuer und die geteilte Höhle. In meiner Generation nennt man es Nachbarschaftshilfe, Freundeskreis oder Familie. Wir benutzen bei uns zu Hause zum Beispiel das Besteck und den Backofen gemeinsam. Und im Badezimmer machen wir Room Sharing. Und damit sind wir auch nicht im Kommunismus oder im Urchristentum gelandet, denn „Share Economy“ rüttelt ja nicht am Eigentumsbegriff. Die verliehene DVD oder die Heckenschere bleiben schließlich in meinem Besitz. Aber die Unternehmen, die den Trend in die Welt gesetzt haben, profitieren natürlich auch von ihm. Schließlich haben sie ihn produziert, also erwarten sie einen Gewinn – den sie, nebenbei bemerkt, nicht teilen werden, höchstens mit ihren Aktionären. Sie haben gewonnen, wenn wir über ihre Internet-Plattformen teilen und ihre Apps benutzen. Wir teilen in Wirklichkeit mit den Reichen. Wir könnten auch offline mit den Armen teilen, aber das ist vermutlich nicht hip, cool oder trendy genug. Denn hinter der aktuell angesagten „Share Economy“ steht ein uralter Gedanke (um nicht zu sagen: einer der ältesten Trends der Menschheitsgeschichte): Ich will ein Produkt oder eine Dienstleistung billiger erwerben, möglichst sogar umsonst kriegen. Egoismus und Effizienz sind die Triebfedern, die den Mechanismus dieses Trends am Leben erhalten. Die Frage ist doch: Wollen wir das überhaupt? Beispiel Uber. Hundert Leute verdienen sich als Amateurchauffeure was nebenher, ein Taxifahrer verliert deswegen seinen Job. Sozialabgaben und Steuern gehen der Allgemeinheit verloren, Arbeitslosengeld wird fällig. Der große Gewinner: Mister Kalanick aus den USA. Und hinter ihm stehen diverse Investoren wie Google und Goldman Sachs, die sich ebenfalls freuen dürfen.
P.S.: Teilen kann auch ganz schön nervig sein. Wer mal in einer WG gewohnt hat, weiß das. Den meisten Trendfollowern steht diese Erfahrung noch bevor.
P.P.S.: Diesen Text habe ich kostenlos für Sie geschrieben und Sie haben ihn kostenfrei gelesen. Voilà! Es geht auch ohne Anglizismen und Profiteure.
Interpol – Untitled. http://www.youtube.com/watch?v=P6wShHrXRDc

1 Kommentar:

  1. Ein ordentlicher Trend muß aus Ameika kommen. Amerika, das ist weites Land mit vielen, vielen Highways. Mit Schoppingmalls, wo man mit der Karre reinfährt. Kilometerlange Vororte ohne sichtbares Zentrum. Carport statt Garten. Grünzeugs ist sowieso Bääh, Steingarten ist viel Pflegeleichter, man hat ja keine Zeit für sowas.
    Man kann da mitmachen, muß es aber noch nicht. Noch.

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