1945
endete offiziell die Zeit des europäischen Mächtegleichgewichts mit wechselnden
Bündnissen. Deutschland und, in geringerem Maße, Italien waren durch die
Niederlage im Zweiten Weltkrieg vom Schachbrett genommen worden, die
Kolonialreiche von Großbritannien und Frankreich begannen zu zerfallen.
Es
begann eine kurze Phase der Unipolarität. Die USA waren ökonomisch und
militärisch (Atombombe) die unumstrittene Weltmacht Nr. 1. Sie begriff sich als
neue Ordnungsmacht, z.B. in Korea und im Iran Anfang der fünfziger Jahre.
Militärdiktaturen (u.a. Südkorea, Griechenland, Spanien, Argentinien,
Brasilien, Chile, Paraguay, Bolivien, Peru, Uruguay) ließ man jahrzehntelang gewähren,
aber der Kommunismus wurde gnadenlos bekämpft.
Erst
als die Sowjetunion Ende der sechziger Jahre die Fähigkeit zum erfolgreichen
atomaren Zweitschlag erworben hatte und sich die Niederlage der USA in Vietnam
abzeichnete, entstand die Bipolarität, in der meine Generation aufgewachsen
ist. Der Kalte Krieg zweier klar definierter Machtblöcke prägte die Zeit bis
zum Untergang des Warschauer Pakts und der Sowjetunion.
Es gab
zwar noch die Dritte Welt und ihre Bewegung der Blockfreien, aber ihre
Interessen waren zu heterogen, um geopolitisch wahrgenommen zu werden. Diese
Bewegung umfasste Länder wie das sozialistische Kuba und die islamische
Theokratie im Iran, reiche Länder wie Saudi-Arabien und arme Länder wie Sierra
Leone, große Länder wie Indien und Zwergstaaten im Pazifik. Ökonomisch änderte
sich an den Machtverhältnissen auch nach dem offiziellen Ende des Kolonialismus
nichts. Die Industrie war im Norden, der Süden lieferte die Rohstoffe. Der
Weltmarktanteil der Dritten Welt sank kontinuierlich.
In den
neunziger Jahren frohlockten Amerikaner wie Francis Fukuyama, die Welt der
Unipolarität käme wieder zurück. Inzwischen wissen wir längst, dass wir im
Zeitalter der Multipolarität leben. Der Aufstieg Chinas zur ökonomischen und
militärischen Weltmacht ist das augenfälligste Beispiel. Aber es gibt noch andere
Akteure, die weltpolitisch weniger offensiv auftreten als die USA und China. Andere
Atommächte wie Russland, Großbritannien, Frankreich, Indien, Pakistan,
Nordkorea und Israel sind militärisch nicht mehr erpressbar.
Die EU
ist ökonomisch ein Big Player, auch wenn sie militärisch in der NATO von den
USA dominiert wird. Das zeigt sich immer wieder in harten Auseinandersetzungen
um Zölle oder Produktstandards. Die weltweiten Devisenreserven sind zu sechzig
Prozent in Dollar angelegt und zu zwanzig Prozent in Euro. Dazu kommen
Rohstoffkartelle wie die OPEC und internationale Großkonzerne, die alle ihren
Sitz in den Industrieländern haben (USA, Westeuropa, Ostasien). Gerade in der globalisierten
Ökonomie zeigt sich die neue Multipolarität am deutlichsten. Die Macht ist auf
mehrere Zentren verteilt, die machtlose Peripherie wird weiterhin als
Rohstofflieferant und billige Produktionsstätte ausgebeutet.
... sehr klar analysiert. Es wäre jetzt nur schön, wenn die unipolaren Player nicht dem Kapitalismus und dem unbegrenzeten Wachstum frönen würden, sondern solchen Begriffen wie "Gleichheit, Brüderlichkeit, "sauberes Wasser für alle" etc. Aber das dauert noch bis zur "Indipendence Day Schlusssequenz" ...
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Jens
Das werden wir nicht mehr erleben. Selbst das "kommunistische" China, derzeit Nr. 2 der Wirtschaftsmächte, ist auf Gedeih und Verderb der Wachstumsideologie ausgeliefert, um seine riesige Volkswirtschaft am Laufen zu halten. Deswegen gibt es längst chinesische Fabriken in Vietnam, Bangladesch oder Äthiopien, wo das Billiglohnland China noch billigere Arbeitskräfte ausbeutet.
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