Dienstag, 19. Januar 2016

Fluch der Technik

„Aber immerhin gibt es auch eine gute Nachricht für uns, und zwar die täglich wachsende Bedeutung des Geldes (…); es lässt uns Scham und Anstand vergessen, aber nur, damit wir erkennen, dass wir diese Tugenden genau genommen nie besessen haben.“ (Zhu Wen: I love Dollars)
Ich lese ja immer noch gerne alte Bücher. Aus der Zeit, in der es kein Internet und keine Smartphones gab. Da fällt mir immer auf, was ich als Autor heute nicht mehr machen kann, welche großartigen dramaturgischen Momente der Literatur verloren gegangen sind - es sei denn, man schreibt einen historischen Roman.
1. „Das Telefon klingelte“. Früher klingelte das Telefon und ein Gespräch wurde jäh unterbrochen. Jemand musste an den Apparat gehen. Man hörte nur ein kurzes „Ja“ oder „Mhm“ und musste aus dem Tonfall des Hörenden auf den Inhalt des Unhörbaren schließen. „Grundgütiger Himmel, das ist ja schrecklich!“ Was ist schrecklich? Ist jemand gestorben? Kommen die Russen? Sind die Löwen aus dem Zoo ausgebrochen? Die Spannung steigert sich ins Unermessliche. Bis wir endlich erfahren, um was es geht. Heute summt oder vibriert es nur in irgendeiner Hosentasche. Und jeder weiß immer schon alles, weil er ständig auf sein Smartphone glotzt. Daher entfällt auch folgender beliebter Dialog:
„Hey, weißt du schon das Neueste?“
„Nein.“
Beide sind aufgeregt. Schnappatmung allenthalben.
„Das – glaubst – du – nicht!“
„Jetzt sag’s schon!“
(beliebig ausbaubar)
2. „Wo war Conny Windig? Niemand konnte sie erreichen.“ Der Privatdetektiv oder der Kommissar müssen dringend jemand anrufen. Aber die Person ist nicht zu Hause. Schippert vielleicht gerade mit einer Yacht über die Ostsee oder steht im Stau vor Mannheim. Pech. Da machst du nix! Aber Conny Windig ist in Gefahr. Du weißt jetzt, wer der Mörder ist. Nein? Doch! Und Conny ist als nächstes dran. Du musst sie unbedingt erreichen. Es ist zum Mäusemelken. Daraus konnte man als Autor Spannung herstellen. Vorbei. Heute ist Conny rund um die Uhr zu erreichen, selbst wenn sie gerade auf den Osterinseln ist.
3. „Es war eine finstere mondlose Nacht. Johnny Malta hatte sich verfahren und hielt vor der kleinen Tankstelle an der einsamen Landstraße, um nach dem Weg zu fragen.“ Wir wissen, wie es weiter geht. Der böse Tankwart zeigt ihm den falschen weg und Johnny kommt in ein Dorf, in dem lauter Zombies leben. Solche verwunschenen Plätze hat es vor der Erfindung des Navis gegeben, doch doch, da bin ich mir ganz sicher. Johnny wird auf grauenhafte Weise dahingemeuchelt. Heute folgt er der seelenlosen Stimme der Technik und kommt immer an. Übrigens entfällt dadurch im Alltag auch die schöne Ausrede „Ich hab’s nicht gefunden.“
4. Aber nicht nur die Technik hat sich verändert, auch andere Dinge. „Darauf wette ich einen Heiermann.“ Und: „Ihre Augen waren so groß wie Fünf-Mark-Stücke.“ Vorbei. Jetzt gibt’s nur noch den Fünf-Euro-Schein.
5. Es entfallen in der Literatur wie im Leben auch alle spannenden Momente, die aus Unwissenheit oder bestimmten Meinungsverschiedenheiten entstehen. Zumindest, wenn es um reines Faktenwissen geht. Wie heißen die sieben Zwerge? Wer schoss das entscheidende Tor im Endspiel der EM 1996? Was ist das Atomgewicht von Brom? Guckst du einfach nach. Weiß man nach wenigen Sekunden. Jeder hat eine Enzyklopädie in der Jackentasche.
Es ist uns so vieles verloren gegangen. Wer sucht noch nachts verzweifelt nach einer Telefonzelle, weil es etwas Wichtiges zu sagen gibt? Und dann findest du eine – und sie ist kaputt. Oder du hast kein Kleingeld. Oder du hast Kleingeld, aber es kullert dir blöderweise in den Gulli. Und dann fingerst du im Gulli rum, bleibst mit der Hand stecken, während du mit schreckensgeweiteten Augen („groß wie Fünf-Mark-Stücke“) den Wagen näherkommen siehst, der dich seit Stunden verfolgt …
Heute ist der Akku leer.
Zum Abschluss noch ein Mörderkalauer, den man inzwischen auch nicht mehr bringen kann. Der ist übrigens nicht von Fips Asmussen, sondern von mir. In diesem Blog ist noch alles echte Handarbeit – wo gibt’s sowas noch?
A: Neulich auf dem Weinfest war ich so betrunken, dass ich in eine Telefonzelle gepinkelt habe, weil ich dachte, es wäre das Klohäuschen.
B: Und warum erzählst du mir das?
A: Ich dachte, wenn ich schon mal hier bin, kann ich auch jemand anrufen.
Pointer sisters - I'm So Excited. https://www.youtube.com/watch?v=UeupLtGqiFM

4 Kommentare:

  1. Ist es nicht ihre Aufgabe als Autor Johnny irgendwie in das Zombie-Dorf zu bringen? Navi hin- oder her.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich bringe ihn als Autor natürlich immer noch ins Zombie-Dorf, aber es ist ja auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Navi kaputt, Smartphone verloren usw. - da greift sich der Leser an den Kopf. Oder man entwickelt neue Plots, die dem Stand der Technik entsprechen.

      Löschen
  2. Den Kalauer kenn' ich noch anders:
    "Alle Männer pinkeln in die Duschkabine."
    "Aber nicht im Baumarkt."

    AntwortenLöschen
  3. Heiermann.
    Da gab es noch den Ausdruck: "Macht drei Scheine." In Zahlen 3000.

    AntwortenLöschen