Freitag, 6. Februar 2015

Sommer 1975

Damals machten wir „Urlaub auf dem Bauernhof“ in der Nähe von Tuttlingen. Dort, am Rand des Schwarzwalds, gab es Ortschaften wie Saudorf und das Brot wurde noch in einem Gemeinschaftsofen mitten im Ort gebacken, wo sich die Landfrauen einmal in der Woche mit ihrem Teig trafen und stundenlang schwatzten. Das noch warme, frisch gebackene Brot mit selbstgemachter Butter … - ich suche heute noch nach diesem köstlichen Geschmack meiner Kindheit.
Mit dem gleichaltrigen Sohn des Bauern bin ich den ganzen Tag herumgezogen. Wir haben versucht, Hühner zu hypnotisieren. Angeblich muss man sie nur festhalten und mit einem Strohhalm kreisförmige Bewegungen vor ihren Augen machen. Es war schwer genug, sie zu fangen. Damals waren die Hühner noch recht flink und wendig, sie konnten sogar kleinere Strecken im Flug zurücklegen. Aber sie sind nie in Trance gefallen. Keine Ahnung, wer uns diesen bescheuerten „Trick“ verraten hat.
Zwischen dem Bauernhaus, in dem wir schliefen, und den Ställen war ein riesiger Schäferhund angekettet, dem man auf keinen Fall zu nahe kommen durfte. Er bellte fürchterlich und er rannte auf jeden Fremden zu, soweit es die etwa fünf Meter lange Kette zuließ. Wenn er aber frei durch das Bauernhaus lief, war er ganz friedlich und man konnte dieses wolfsartige Tier sogar streicheln.
Das lustigste war ein Junge, den wir auf der Rückfahrt zum Bauernhof gesehen haben. Wir waren an diesem Tag am Bodensee gewesen, wo mein Vater einige Jahre zuvor den Segelschein gemacht hatte. Er stand in strömendem Regen auf einem großen Misthaufen. Er hatte einen Anorak an und unten schauten die nackten Beine heraus. Wir konnten uns nicht erklären, wieso er bei diesem Sauwetter seelenruhig dort stand. Mein Vater meinte, er wolle vermutlich wachsen. Meine Schwester und ich haben uns totgelacht, das Bild war der Running-Gag des Urlaubs.
Ich erinnere mich, wie der Bauer mir im Stall gezeigt hat, wie man Kühe mit der Hand melkt. Er hat mir auch ein Glas Milch frisch von der Kuh gezapft. Ich war über die Wärme und den Geschmack der Milch überrascht. Ich kannte Milch eigentlich nur kalt und geschmacklos aus dem Kühlschrank. Man rührte Kaba in den Geschmacksrichtungen Schokolade, Vanille, Erdbeere oder Banane hinein. Davon hatten sie auf dem Bauernhof noch nie etwas gehört.
Ich sehe mich noch mit dem Bauernjungen, wie wir auf dem Anhänger eines Traktors mitfahren, weil wir an diesem Tag weit gelaufen waren. Ein anderer Bauer nahm uns mit zurück, wir ließen die Beine vom Anhänger baumeln und betrachteten abwechselnd den Weg, der sich zeitlupenhaft unter uns fortbewegte, und unsere Hände, die rot vom Klatschmohn waren.
Wir haben uns noch monatelang Briefe geschrieben. Eines Tages werde ich sie finden, wenn ich gerade etwas anderes suche. Er ist jetzt auch fast fünfzig Jahre alt, hat vermutlich den Bauernhof seines Vaters übernommen und neue Bauernkinder in die Welt gesetzt. Zumindest hoffe ich das. Es ist eine schöne Vorstellung: Er lebt immer noch auf dem Bauernhof, ist gesund und zufrieden, hat einen Bauch und graue Haare wie ich – und im Sommer verbringen Kinder aus der Stadt ein paar Wochen bei ihm, lernen die Tiere kennen und genießen den Geschmack von frischem Brot und warmer Milch.
Slade - Skweeze Me Pleeze Me. https://www.youtube.com/watch?v=IC5vj9cFU8E

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