Samstag, 25. Oktober 2014
Bonetti als Wirtschaftsfaktor
Es ist bisher weder im Feuilleton noch in der Ökonomie genügend gewürdigt worden, welchen Einfluss das künstlerische Schaffen von Andy Bonetti auf die Region, auf die Stadt Bad Nauheim und den Wetterau-Kreis, aber auch auf das gesamte Bundesland Hessen hat. Nehmen wir den winzigen Ort Grafenfels als Beispiel. Hier wohnen tapfere kleine Angestellte, oft nur mit befristeten Arbeitsverträgen und sehr kleinen Kindern, in die sie ihre ganze Hoffnung gesteckt haben. Viele von ihnen arbeiten am nahe gelegenen Flughafen und ihre flachen, breiten Schädel mit den verzerrten Gesichtszügen erwecken den Eindruck, als hätten sie sich im Schmerz des Fluglärms gebildet. Aber Grafenfels ist der Ort, in dem „Die Legende von Yak und Yakeline“ spielt, jene zauberhafte Liebesgeschichte zweier Menschen, die jahrelang in verschiedenen Schichten im Duty-Free-Shop des Flughafens arbeiten und erst in einer stürmischen, aber dennoch äußerst romantischen Novembernacht unter der Dorflinde zueinander finden. Ganze Busladungen literaturbegeisterter Menschen aus aller Welt kommen nach Grafenfels, um die Linde zu fotografieren, die eigentlich nur eine Erfindung Bonettis ist und nach dem Siegeszug dieses herzzerreißenden Beziehungsromans, der in einundvierzig Sprachen übersetzt wurde, erst eilig gepflanzt werden musste. Es gibt einen Souvenirshop und mehrere Landgasthöfe, die von diesem Buch leben.
Bad Nauheim selbst ist zu einer Pilgerstätte der Weltliteratur geworden wie Prag mit Franz Kafka oder Dublin mit James Joyce. Jedes Jahr am 14. August wird der Heinz-Pralinski-Tag feierlich begangen, die einzig und allein dieser wichtigsten Romanfigur im Werk Bonettis gewidmet ist. Die Stadt ist dann voller Fans, die man an ihren hellbraunen Cordhosen, dem Seitenscheitel drei Finger über dem Ohr und einem Regenschirm mit Schottenmuster erkennen kann (Pralinski ist in der Kleinstadt Schotten am Westhang des Vogelsbergs, etwa dreißig Kilometer von Bad Nauheim entfernt, zur Welt gekommen). Das Bonettimuseum auf dem Rathausplatz, in dem nicht nur die Kopien des Literaturnobelpreises und anderer Preise ausgestellt sind, die Bonetti gewonnen hat, sondern auch sein Lieblingsteddy, der Zollstock, mit dem er sein erstes Bier aufgemacht hat, die Originaleinrichtung seiner Studentenbude in Kassel, diverse von ihm benutzte Schreibmaschinen, Computer und Kugelschreiber sowie einige von ihm selbst gemachte Zeichnungen auf Bierdeckeln, besuchen jährlich mehr als zwei Millionen Menschen. Auch hier profitieren Handel und Gastronomie in hohem Maße. Kein Restaurant kann es sich leisten, das Lieblingsessen von Andy Bonetti, Jägerschnitzel mit Pommes frites, Kaiserschmarrn und Lasagne, von seiner Speisenkarte zu streichen. Selbst ortsansässige Chinesen und Türken bieten diese Gerichte an. In Anspielung auf die weltberühmte Erzählung „Bonetti auf der Buchmesse“ gibt es in der Innenstadt Hot-Dog-Stände, wo man drei Hot-Dogs für den Preis von zwei bekommt.
Und ähnlich ist es auch in Kelsterbach, Schwalmstadt, Butzbach und den anderen Orten, die Bonetti in seinem Werk verewigt hat. Bonetti selbst schweigt zu diesem Sachverhalt und nimmt die Huldigungen der Gesandtschaften aus allen Teilen Hessens nur an ausgewählten Tagen entgegen. Dann tragen kleine Mädchen mit Schleifen im Haar Gedichte vor, die das lobende Andenken Bonettis zum Inhalt haben, Schulchöre singen und menschliche Pyramiden werden zu seinen Ehren gebildet. Bürgermeister und Germanistikprofessoren überreichen kostbare Füllfederhalter, goldene Korkenzieher, ganze Kisten voll edelstem Champagner und feinster Schokolade, Torten in B-Form und Schweinehälften. Es wird gemunkelt, dass Städte wie Gießen oder Marburg hohe Summen geboten haben, um endlich auch einen Platz in Bonettis literarischem Universum zu finden, bevor dessen Schaffenskraft und Sprachgewalt eines fernen Tages endgültig versiegen werden.
P.S.: Im Kometenschweif von Bonettis Berühmtheit hat es auch das naturtrübe Kellerbier der Bad Nauheimer Brauerei „Emil Kesselhemd und Söhne“, die in siebter Generation von Rita Reuschlein, geb. Kesselhemd, geführt wird, zu einer bundesweit stark nachgefragten Marke gebracht. Das Werbemaskottchen „Halbstrack der Schwere“ geht auf eine Bierdeckelkritzelei von Andy Bonetti zurück.
The Chameleons – View from a hill. http://www.youtube.com/watch?v=IN-uChxDFrs
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