Dienstag, 5. Dezember 2017

Begegnung mit einem Weltstar

„Die Fenster sind noch geöffnet, die frühen Aromen des Tages strömen herein, ich nippe an dem leicht cremigen Schaum, der den Caffé beinahe ganz verdeckt, ich nippe ein zweites Mal und nehme durch den porösen, lauwarmen Schnee einen kleinen Schluck des schwarzen Caffés, sofort bin ich hellwach und gespannt wie ein kleines Kind, das sich auf ein lange ersehntes Geschenk freut. Mein Geschenk ist die Schrift, ich setze mich an den Schreibtisch, ich trinke weiter in kleinen Schlucken, ich schreibe.“ (Hanns- Josef Ortheil: Die Erfindung des Lebens)
Es war ein milder Herbstmorgen. Ich saß an der Piazza Nuvolari, nicht weit vom Tiber entfernt. Auf dem Platz standen einige uralte Kastanienbäume, unter denen Rentner, Raucher und andere Müßiggänger im Schatten saßen. Ich genoss die Stille der Piazza bei einem Cappuccino und las den Corriere della Sera. Dieses Viertel wurde glücklicherweise nicht von Romtouristen frequentiert, sodass dem beginnenden Tag die Möglichkeit gegeben war, Kraft für alles weitere zu sammeln.
Ich hätte ihn vermutlich nie kennengelernt, wenn nicht in diesem Augenblick mein Handy geklingelt hätte. Ein Freund aus Wermelskirchen rief an und fragte, wie lange ich noch in Rom bleiben wolle. Es ging um seine Geburtstagsfeier. Wir plauderten eine Weile, dann verabschiedeten wir uns voneinander.
Da sprach er mich an. Er saß am Nachbartisch und lächelte zu mir hinüber. „Offensichtlich sind Sie aus Deutschland“, sagte er auf Deutsch.
„Ja“, antwortete ich. „Ich verbringe nur den November und die Adventszeit in Rom.“
„Daher können Sie so gut Italienisch“, sagte er und deutete auf meine Zeitung.
„Ich komme schon seit zwanzig Jahren hierher. Immer in dasselbe Hotel. Im Laufe der Zeit habe ich mir die Sprache angeeignet. Sind Sie zum ersten Mal hier?“
„Ja, ich habe mir für drei Monate eine kleine Wohnung gemietet. Ich möchte hier in Ruhe an einem Manuskript arbeiten. Leider kann ich nur ein paar Worte Italienisch. Fremdsprachen waren noch nie meine Stärke. Es muss schön sein, sich in anderen Sprachen ausdrücken zu können. Vermutlich gibt es Themen oder Situationen, zu denen die italienische oder eine andere Sprache viel besser passt als die deutsche.“
Ich nickte ihm zu. „Sind Sie Schriftsteller?“
„Ja. Mein Name ist Andy Bonetti. Aber vermutlich haben Sie noch nie von mir gehört“, antwortete er bescheiden.
Ich war wie vom Blitz getroffen. Der berühmte Andy Bonetti. Hier in Rom. Am Nachbartisch. Was für ein Wunder. Das würde mir kein Mensch glauben.
„Doch, doch“, stotterte ich mühsam und spürte, wie die Röte in mein Gesicht stieg.
„Darf ich mich ein Weilchen zu Ihnen setzen?“ fragte er.
Ich stimmte natürlich hocherfreut zu und alsbald plauderten wir angeregt über Literatur und Politik. Bonetti schrieb gerade an einem Roman über den Untergang der Maldini-Dynastie, die im 18. Jahrhundert die Käseherstellung revolutioniert hatte.
Nach einer Stunde verabschiedeten wir uns voneinander.
„Wollen wir uns vielleicht morgen zum Abendessen treffen und ein Glas Wein trinken?“ fragte ich, mutig geworden durch die Freundlichkeit und Bescheidenheit dieses Weltstars aus Bad Nauheim.
„Ich möchte ungern einen Termin machen. Vielleicht habe ich gerade zu diesem Zeitpunkt ein paar gute Einfälle und sitze an meinem Schreibtisch. Daher möchte ich nichts festlegen, um den ganzen Tag offen für meine Arbeit zu sein. Deswegen bin ich auch gerade in Rom. Hier habe ich keine Verpflichtungen, sondern die absolute Ruhe für meine Arbeit. Kein Internet, kein Telefon. Mein Sekretariat ist angewiesen, mich nur in absoluten Notfällen zu kontaktieren.“
„Das verstehe ich, Herr Bonetti“, antwortete ich. „Der Zufall wird uns wieder zusammen führen. Und die Nähe unserer Unterkünfte wird den Zufall begünstigen.“
Tatsächlich trafen wir uns in diesem Herbst noch einige Male an der Piazza Nuvolari. Ein ganz famoser Bursche, dieser Bonetti. Im darauffolgenden Jahr erschien dann sein Roman „Der Käse meiner Großmutter“ und wurde natürlich ein Welterfolg.
Slade - Coz I Luv You. https://www.youtube.com/watch?v=VxFHTxI_dzs

4 Kommentare:

  1. Gefällt mir, diese Geschichte. Ich hätte Bonetti auch gerne getroffen, gern mit Ortheil gemeinsam. Wir hätten ein wunderbares Mahl gehabt, viel gelacht und leckeren Wein getrunken, wären mit der Welt versöhnt(zumindestens für diesen Tag) in den Schlaf gesunken!
    Oh, mir fehlen diese Treffen: fröhlich, kommunikativ, ohne Vorgaben.

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    1. Ich habe gerade Ortheils Roman gelesen. Er ist wirklich nach Rom gefahren, um dieses Buch zu schreiben. Als junger Mann war er bereits einmal jahrelang in Rom, um dort Pianist zu werden. Aus gesundheitlichen Gründen musste er dann auf Literatur umstellen - obwohl er noch vor dem Sprechen das Klavierspiel beherrschte. Darum geht es in diesem lesenswerten autobiographischen Roman.

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    2. Ich kenne den Roman, wie fast alle von Ortheil- eine Reise in meine Vergangenheit ist auch Wanderung an die Mosel, auch die Berlinreise. Ich freue mich über seine genaue Beobachtungen, ich habe keine Geduld. Das freut mich auch an diesem Blog, da formulierst Du oft pointiert, was ich nachspüren kann.

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    3. Vielen Dank!

      Die Berlinreise habe ich im Sommer gelesen. Mit den Agenten fing es letztes Jahr an. In meiner Studienzeit in Mainz war er dort Dozent, leider bin ich nie hingegangen.

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