Montag, 18. Dezember 2017

Nachts auf dem Fahrrad

„Ohne Wein und ohne Weiber / Hol der Teufel unsre Leiber“ (Konrad Stanko)
Ich war eigentlich schon achtzehn, aber ich hatte immer noch keinen Führerschein. Also fuhr ich mit dem Klapprad zu ihr, das mir meine Mutter gekauft hatte, als ich noch in die Grundschule ging. Für mich war es Understatement, mit meinen einsneunzig, dem Stone-Washed-Jeansanzug und der Verbrechervisage auf so einer Affenschaukel unterwegs zu sein, während die anderen Jungs schon mit ihrem ersten Auto angaben. Na und?
Ich klingelte. Der seriöse Big-Ben-mäßige Klingelton passte zur Villa. Ein Mercedes parkte vor der Garage. Der Rest der Straße sah auch nach Geld aus. Zum Glück machte sie gleich auf, bevor ich es mir nochmal anders überlegen konnte. Wenn ihre Mutter oder ihr Vater aufgemacht hätten – ich weiß nicht. Ich folgte ihr ins Haus und merkte zu spät, dass ich mir die Füße nicht abgetreten hatte und auch nicht gefragt hatte, ob ich die Schuhe ausziehen soll.
Von links kam ihre Mutter dazwischen gegrätscht wie ein Verteidiger. Ich spielte zu dieser Zeit Linksaußen, ich kannte die Tricks. Dieses Scheißlächeln werde ich nie vergessen. Und dann kamen die Fragen. Während ich routinemäßig antwortete, was ich denn eigentlich sei – Herkunft, Hobbies, Lebensplanung bis 65 -, fragte ich mich, was mir bevorstehen würde, wenn ich dieses Level endlich geknackt hätte.
Es war der Konzertflügel im Wohnzimmer, der extra für das verwöhnte Einzelkind mit den langen blonden Haaren, Prinzessin Lillifee auf ihrem rosaroten Einhorn, angeschafft worden war. Was sollte ich dazu sagen? Ich konnte noch nicht mal Noten lesen und das einzige Instrument in unserer Mietwohnung war die Blockflöte von meiner Schwester. Mit meinem Plädoyer für Punk und Heavy Metal – ein BASF-Chromdioxid-Band mit entsprechendem Material lauerte in der Innentasche meiner Jeansjacke – erntete ich nur ein fassungsloses Kopfschütteln der Mutter und klammheimlich zugeblinzeltes Einverständnis der Tochter.
Wir verzogen uns in ihr Zimmer ein Stockwerk tiefer und ich legte meine Musik auf. Erst tranken wir Wein, dann kamen Spirituosen ins Spiel. Diese Familie, Vater Zahnarzt, Mutter Studienrätin, war mindestens so gut sortiert wie meine Stammkneipe am Ingelheimer Bahnhof. Davon konnte ich nur träumen. Bei mir zu Hause musste ich aufpassen, dass meine Mutter, eine Putzfrau mit einem Faible für eine Flasche Billigsekt schon in der Mittagspause, mir nicht den Bierkasten leertrank, wenn ich abends um die Häuser zog.
Alsbald knutschten wir hemmungslos und meine Hand wanderte ungehindert unter ihr T-Shirt, wo ich zu meiner Überraschung eine knappe Handvoll warmes Glück zu fassen bekam, das nicht durch einen BH blockiert war. Es war ein schönes Besäufnis bei guter Musik, aber ich habe sie nach diesem Abend nie mehr wiedergesehen.
Es heißt, sie hätte einen Akademiker aus gutem Hause geheiratet, Karriere gemacht, ein Reihenhaus gekauft, Kinder bekommen und überhaupt den ganzen bürgerlichen Kanon abgearbeitet. Und ich? Ich habe noch nicht einmal ein Klapprad. In meiner Hosentasche klimpern ein paar Münzen und ich habe keine Ahnung, was morgen sein wird.
Depeche Mode – Blue Dress. https://www.youtube.com/watch?v=vamnlQ45P7E

2 Kommentare:

  1. Ich habe viel von meinem Geld für Alkohol,
    Weiber und schnelle Autos ausgegeben...
    den Rest habe ich einfach verprasst.

    - George Best

    So, kannste Ja auch zu NIX kommen (ړײ) *zwinker*

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  2. Ich habe auch zwei Handvoll warmes Glück im Bett.Zum Glück ohne Heirat/Kinder etc.Meine Süsse hat die Tuben geschlossen.Verkehrsunfall ausgeschlossen.

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