„Gehen Sie zur Hölle. Gehen Sie direkt dorthin. Gehen Sie nicht über Gott.“ (John Sladek: Die stählerne Horde)
2013 – das Unglücksjahr. Im Mai habe ich einen Nervenzusammenbruch. Im Monat zuvor habe ich meinen letzten Roman abgeschlossen. Bis heute habe ich nicht mehr die Kraft zu großen Projekten gefunden und begnüge mich mit den kleinen Fingerübungen, mit denen ich mein Blog fülle.
Die Handlung dieses letzten Romans namens „Rheinkind“ spielt im Jahr 1980, ich gehe gedanklich in meine Kindheit und Jugend zurück. Ich lese die Tagebücher, die ich zwischen 1977 und 1982 geschrieben habe. Ich bestelle mir im Internet meine Lieblingskinderbücher „Ganki im Zauberwald“ von Antonia Arnold (damals habe ich es 5 x gelesen) und „Das Tal der Abenteuer“ von Enid Blyton und lese sie noch einmal. Ich bestelle mir sogar ein paar Spielsachen, die ich in meiner Kindheit mochte. Kurz: Ich versetze mich zum Schreiben in die Vergangenheit zurück.
2013: Ich verbringe fünf Wochen in einer Klinik. Danach ziehe ich von Berlin nach Schweppenhausen. Ein neues Leben beginnt, aber es ist die Hölle. Viele Monate liege ich mit einer schweren Depression im Bett. Ich bekomme Psychopharmaka, ich beginne eine Therapie, die bis Mai 2014 dauert. Es ist eine schreckliche Zeit, aber sie hat einen entscheidenden Vorteil. Ich weiß jetzt, auf wen ich mich verlassen kann. Wenn du ganz unten bist, weißt du genau, wer deine Freunde sind. Und wer die Schönwetterbekanntschaften sind, die dich nur kennen, wenn du dich mit ihnen einmal im Quartal in der Kneipe oder im Café zu oberflächlichem Geplauder triffst.
Auf meine Familie kann ich mich zu einhundert Prozent verlassen. Eine beruhigende Erfahrung. Der Freundeskreis gibt ein gemischtes Bild ab. Einige nehmen lange Reisen auf sich, um mich im Krankenhaus zu besuchen. Dann gibt es wiederum eine „Freundin“, die nur vier Kilometer Luftlinie von meinem damaligen Aufenthaltsort entfernt lebt – es sind zehn Minuten mit der U-Bahn – und dennoch in diesen fünf Wochen nicht die Zeit findet, mich einmal zu besuchen.
Aber eine Nachbarin, die ich vorher nur von kurzen Gesprächen im Hausflur kenne, kümmert sich rührend um mich. Eine Geschäftsfrau, deren Mann zu dieser Zeit schwer krank ist. Drei Monate später stirbt er. Und trotzdem findet diese Frau die Zeit, regelmäßig bei mir vorbei zu kommen. Während ich in der Klinik bin, ist auch noch in meine Wohnung eingebrochen worden. Sie kümmert sich um alles, sie hilft mir. Ein Mensch, der überhaupt nicht unter der Rubrik „Freundeskreis“ auftaucht, wird in dieser Zeit zu einer neuen Freundin.
Als ich monatelang in Schweppenhausen liege und die Decke anstarre, kommt ein „Freund“, der nur dreißig Autominuten entfernt in Mainz lebt, nicht ein einziges Mal vorbei. Jedes Wochenende fährt er zwei Mal an der Autobahnausfahrt von Schweppenhausen (ab da sind es noch zwei Kilometer bis zu mir) vorbei, wenn er seine Freundin in Köln besucht. Jeden Freitag. Jeden Sonntag. Er biegt kein einziges Mal ab, um zu sehen, wie es mir geht. Nach Berlin ist er zuvor natürlich auch nicht gekommen, obwohl er es als Erster in meinem Freundeskreis erfahren hat. Mein Vater hatte ihn angerufen.
Ich habe damals viel über das Thema Freundschaft lernen können. Selbst finstere Zeiten sind am Ende doch für etwas gut.
Dionne Warwick - That's What Friends Are For. https://www.youtube.com/watch?v=HyTpu6BmE88
Genial dein Text, danke dafür! Sowas kann nur jemand schreiben, der die jedem Menschen mit Beginn seiner Existenz innewohnende Kompetenz des Mitgefühls nicht durch blinden Egoismus bzw. Gleichgültigkeit oder pathologische Näheangst upgedated hat.
AntwortenLöschenDen wahren Freund erkennt man in der Not.
AntwortenLöschenQuintus Ennius
(239 - 169 v. Chr.) .... DAS ist der WAHRHEIT ! *♥*
Nachtrag:
AntwortenLöschenSchwermut
Schreiten Streben
Leben sehnt
Schauern Stehen
Blicke suchen
Sterben wächst
Das Kommen
Schreit!
Tief
Stummen
wir.
August Stramm (1874 - 1915)
* ... für DIE, die´s nicht kennen*
....kenne ma.....zwar nicht Krankheit, sondern Pleite, sogar unverschuldet.....da kennt dich kaum noch einer.....
AntwortenLöschenGrundsätzlich hast Du natürlich Recht mit Deiner Erfahrung, man muß jedoch auch hier differenzieren. Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, daß Menschen z.B. durch die Konfrontation mit einer Depression völlig überfordert sind, etwa weil sie selbst eine mit sich herumtragen, oder nicht gelernt haben, mit so negativen Gefühlen umzugehen.
AntwortenLöschenEin guter Freund von mir ist so einer, der nur in meinen guten Phasen mit mir klarkommt,
dann haben wir jedoch unmöglich absurd viel Spaß. Ich weiß es und es ist in Ornung für mich.
Auch gehe ich einem anderen sehr guten, sehr alten Freund selbst aus dem Weg, der bei mir um die Ecke wohnt und an einer Psychose mit Verfolgungswahn leidet, da ich nicht als Projektionsfläche für ewig lange wahnhafte, von Verachtung und Hass durchzogene Monologe dienen möchte, zumindest nicht öfter als zwei mal im Monat. Verrat hin, Verrat her, ich kann es einfach nicht leisten und auch nicht helfen. Hoffentlich ändert sich das noch mal.
Danke auf den Hinweis auf Ganki! Kannt ich noch nicht!
Rheinkind hat mich auch neugierig gemacht, gibt´s bei amazon als book-on-demand,
kann man sowas bestellen und bei Dir kommt was vom Preis an?
Ja, bei mir kommen die üblichen Prozente an. Reicht für eine Tafel Schokolade. Damit würdest du mir sehr helfen ;o)
LöschenSei froh, dass das für dich nur phasenweise so lief. Das geht auch anders. Übrigens hat nicht nur der Kiezneurotiker Deinen Blog damals vermisst. Ich kommentiere aber nicht ständig.
AntwortenLöschenWenns Dir mal wieder so richtig schlecht geht, hier meine mail-Adresse:
AntwortenLöschenklotzchrist@web.de
Wenn ich mich nicht verfahre, kann ich in 30 Minuten da sein.
Danke. Das ist sehr nett von dir.
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