Dienstag, 13. Mai 2014

Ein Lob der kulturellen Vielfalt

Neulich stand ein Streifenwagen der Hunsrücker Mounties vor dem Haus, in dem früher die Familie Schröder gewohnt hat. Jetzt wohnen Polen hier und ich freue mich über die Bereicherung, die das Gemeinschaftsleben und vor allem der für mich als Geschichtenerzähler so eminent wichtige Anekdotenschatz des Dorfes durch den zahlreichen Zuzug aus Osteuropa erfahren. Von den gut achthundert Einwohnern Schweppenhausens sollen etwa fünfzig aus Polen stammen, angeheiratete Damen aus unserem sympathischen Nachbarland nicht eingerechnet. Neulich verließ ein Freund von mir morgens sein Haus, um mit dem Wagen zur Arbeit zu fahren. Da er sein Fahrzeug auf dem eigenen Grundstück hinter dem Haus geparkt hatte, war das Auto nicht abgeschlossen gewesen. Fehler! Auf dem Fahrersitz fand er einen offensichtlich angetrunkenen Polen, der beschlossen hatte, an diesem wetterfesten und bequemen Plätzchen seinen Rausch auszuschlafen. Nachdem er sanft aufgeweckt und zum Verlassen des Fahrzeugs aufgefordert worden war, stieg er auch brav aus und versuchte, durch die Hintertür ins Haus zu gelangen, um dort weiterzuschlafen. Auf diesen Fehler aufmerksam gemacht, wechselte er die Laufrichtung und torkelte schließlich über die Bachbrücke davon.
Vor zwei Jahren, als das alte Dorfgasthaus „Zur Pfalz“ noch unter pakistanischer Bewirtung geöffnet hatte, kam einmal ein ortsansässiger Mitbürger mit polnischem Migrationshintergrund an die Theke, setzte sich auf einen Barhocker und verlangte einen Wodka. Jimmy, der Wirt – inzwischen hat er auf der anderen Rheinseite ein neues Leben begonnen und Pachtschulden für sechs Monate hinterlassen – holte ein Schnapsgläschen und eine Flasche mit feinstem Kartoffelschnaps hervor, um den Wunsch des Gastes zu erfüllen. Dieser verneinte mit geschwenktem Zeigefinger und deutete auf ein Wasserglas auf dem Regal. Jimmy goss also ein 0,2-Liter-Glas voll Wodka und reichte es dem Gast, welcher es mit zurückgeworfenem Kopf in einem Zug leerte. Er knallte es auf den Tresen und deutete mit dem Zeigefinger und einem ergänzenden kurzen Nicken auf das Glas. Jimmy füllte es erneut, der Gast leerte auch dieses Glas wortlos. Es folgte eine kurze Pause. Stille. Schweigen. Dann kippte der Mann vom Barhocker und blieb bewusstlos liegen. Jimmy rief den Sohn des Polen an, der auch unverzüglich kam. Zusammen hoben sie den Betrunkenen in eine Schubkarre und der Sohn fuhr seinen Vater durch das Dorf nach Hause. Andere migrantische Teilpopulationen sind nicht einmal halb so lustig wie unsere polnischen Dorfbewohner.
P.S.: Leider werden die Polen auf dem deutschen Arbeitsmarkt eher stiefmütterlich behandelt. Einer von ihnen hat letzten Monat seine Stelle als Lagerarbeiter bei einer großen Supermarktkette verloren, weil er zwei Äpfel gegessen hat. Fristlose Kündigung wegen Obst, das in der Lagerkantine vierzig Cent gekostet hätte (und den Konzern im Einkauf vielleicht zehn Cent) – wäre das einem Deutschen passiert, wäre dieser Fall wegen „sozialer Ungerechtigkeit“ oder sowas in der Richtung sicher ganz groß in die Medien gekommen.
P.P.S.: In Erinnerung an einen wunderbaren Abend in der Dorfkneipe, den ich mit ein paar schottischen Bauarbeitern verbracht habe, obwohl ihr Dialekt und mein Oxford-Englisch von verschiedenen Planeten zu stammen schienen, spielen The Cure: „Just Like Heaven“. http://www.youtube.com/watch?v=RS_ux2H473I

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