Montag, 12. Mai 2014

Grandpa Simpson über Politik

Ich war auch mal jung. Das muss so in den Achtzigern gewesen sein. Im vergangenen Jahrhundert. Ich habe an drei Universitäten in drei Bundesländern studiert (Mainz, Heidelberg, FU Berlin), aber eins war überall gleich: Die dümmsten Rübenschweine auf dem Campus waren die Sportstudenten und die BWLer. Okay, die Sportstudenten haben an ihrem Body gearbeitet, da muss man nicht viel im Kopf haben. Geschenkt. Aber die BWLer? Wir haben sie verachtet. Selbst die VWLer haben auf sie hinabgeblickt. Die Omegatierchen auf jeder Party. Haben nur an ihre Karriere gedacht und sich an keiner Demo oder Aktion beteiligt. Und heute? Sitzen genau diese Rübenschweine in der Wirtschaft auf den Chefposten und bestimmen das Schicksal der Welt. Mich würde mal interessieren, ob sich daran in der nächsten Studentengeneration was geändert hat. Aber ich kenne keine Studenten, nur Professoren. Und die erzählen mir, dass selbst die BWLer noch dümmer sind als zu ihrer eigenen Zeit als Student.
Aber ich will nicht lästern, denn auch wir haben versagt, wenn es darum geht, die Welt zu verändern und das Leben zu verbessern. Wir haben bei jeder Unterschriftenaktion von Greenpeace, Amnesty International oder irgendwelcher langhaarigen Öko-Heinis brav unterschrieben und unsere Adresse angegeben. Wir haben uns nächtelang die Köpfe heiß diskutiert, wie wir es denen „da oben“ zeigen werden und überhaupt, Mann! Manche von uns haben die Wände mit Graffiti verziert. Mein alter Kumpel P. hat „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Wiederstand zur Pflicht“ in riesigen Buchstaben an die Schulhofwand unseres Gymnasiums in Ingelheim gepinselt. Widerstand mit „ie“, doch, doch. Die Täter wurden deswegen in der benachbarten Realschule vermutet. Mein alter Kumpel I. hat „Fritz-Teufel-Schule“ über den Eingang geschrieben, weil der frühere Berliner Kommunarde und spätere Terrorist in Ingelheim geboren wurde. Zu meiner Zeit gab es in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn eine Riesen-Demo mit einer halben Million Menschen für den Frieden und gegen die NATO-Aufrüstung (bundesweit waren es 1,3 Millionen). Um ein Haar wäre ich sogar mitgefahren, aber im Auto war kein Platz mehr. Ich war nie auf einer Demo, bis heute nicht.
Was macht die junge Generation heute? Im Internet wird eine politische Position, die man gut findet, per Mausklick „geliket“. Man nimmt online an einer Petition teil, so wie wir früher Unterschriftensammlungen gemacht haben. Was passiert mit den vielen Unterschriften und Petitionen eigentlich? Sie werden zu Altpapier und Datenmüll. Politiker nehmen sie nicht wahr, denn sie haben keinen Einfluss auf die Politik. Petitionen sind Bittgesuche, die Teilnehmer Bittsteller. Und die Bitten werden vom Fürsten eben abgelehnt. Ein höfliches Nicken. „Danke für Ihre Meinungsäußerung“. Und dann fliegt das Zeug in den Abfalleimer. Und die Konzerne und ihr Management nicken noch nicht einmal höflich. Sie nehmen die Unterschriften und Petitionen im Regelfall auch nicht entgegen. Wozu auch? Zeitverschwendung – und Zeit ist bekanntlich Geld. Genauso ist es mit Demonstrationen und Protestcamps. Ich habe es ja bei meinen Spaziergängen durch Berlin oft genug gesehen. Da latschen ein paar hundert oder tausend Studenten durch die Innenstadt, in der einen Hand die Bierflasche und in der anderen das Smartphone, und nach einer Stunde geht’s in die Szenekneipe, wo man sich selbst auf die Schulter klopft und berichtet, man hätte es diesem Scheißstaat und seinen Drecksbullen mal gezeigt, man hätte was gegen Gewalt und Unterdrückung, wahlweise für Frauen und Tiere gemacht, ein Zeichen gesetzt usw. Gar nichts hat man gemacht. Nichts erreicht. So wenig wie die 1.300.000 meiner Generation 1983 in Bonn, Hamburg, Berlin und anderswo. War jemand mal bei Blockupy vor einem Jahr? Ich habe das Frankfurter Camp gesehen. Das war einfach eine Party mit Gitarre und Bierkasten, mehr nicht. Und dann auch noch vor der falschen Bank, vor der EZB, anstatt vor die Deutsche Bank oder zu Goldman Sachs zu gehen. In den Türmen der Finanzindustrie hat man jedenfalls sehr lachen müssen, wie mir ein Frankfurter Journalist erzählt hat. Wahrscheinlich haben im Protest-Camp die BWL-Studenten gefehlt, die hätten das gewusst. Aber die Chefs von morgen waren offenbar anderweitig beschäftigt.
P.S.: Ich höre schon das Gegenargument: „Die Montagsdemonstrationen 1989 haben aber was gebracht. Die Leute haben gemeinsam das Honecker-Regime beendet und sich ihre Rechte erkämpft“. Aber: Erstens fanden diese Demonstrationen nicht in der Bundesrepublik und nicht im Kapitalismus statt, zweitens waren Bundesrepublik und Kapitalismus das Ergebnis dieser Demonstrationen. Spitzenmäßig gelaufen, liebe Ex-DDR-Bürger … Und wenn jetzt wieder Montagsdemonstrationen veranstaltet werden, sollten sie dort stattfinden, wo die Richtlinien der deutschen Politik bestimmt werden: Vor dem Weißen Haus in Washington. Wenn die höchsten deutschen Staatsämter, Bundeskanzler und Bundespräsident, wirklich wichtig wären, hätte man sie wohl kaum mit einer Frau und einem Pfarrer aus dem Osten besetzt, oder? In den Vorstandsetagen der Konzerne sind die Westmänner jedenfalls noch unter sich …(Kleine Info: Die geplante Frauenquote gilt nicht für den Vorstand der Unternehmen, also im eigentlichen Management, sondern nur für den zahnlosen Aufsichtsrat, der sich alle mal Jubeljahre trifft und wo auch das ganze andere Mitbestimmungslametta mit Arbeitnehmervertretern, Betriebsräten usw. untergebracht ist – Frauenverarsche vom allerfeinsten, Glasperlen für das ahnungslose Volk)
P.P.S.: Ich höre schon die Frage: „Grandpa Simspon, was sollen wir denn jetzt machen?“ Das habe ich in meiner Jugend auch mal einen Soziologieprofessor in Heidelberg gefragt, als ich mich ein Semester lang durch die Habermas’sche „Theorie des kommunikativen Handelns“ gearbeitet habe (tausend Seiten Steine fressen, alter Finne!). Er hat mir die Alternative zu einem angepassten Leben in zwei Worten erklärt: „selbstbestimmte Verelendung“. Das kann man machen. Ich lebe als Schriftsteller so. Ich habe zum Beispiel kein Auto. Aber nicht, weil das politisch und ökologisch korrekt wäre, sondern weil ich kein Geld für ein Auto und seinen Unterhalt besitze. Ich habe, um ein weiteres Beispiel zu nennen, nur zwei Hosen. Eine habe ich an, eine liegt im Wäschekorb oder hängt im Schrank. Ich könnte aus diesem Umstand eine Philosophie machen, aber es ist letztlich ganz einfach. Selbstbestimmte Verelendung. Armut ist im Kapitalismus der Preis der Freiheit. Oder man heiratet eine reiche Frau. Oder man gewinnt im Lotto. Oder man überfällt eine Bank. Oder …
P.P.P.S: Joy Division spielen für Grandpa Simspon „Love will tear us apart“. http://www.youtube.com/watch?v=GL9rSAz_oc4

1 Kommentar:

  1. Tja, hättense mal BWL studiert. ^^

    Zur Frauenquote: Gebe sich niemand der Illusion hin, der Kapitalismus würde mit mehr Frauen irgendwie sozialer, angenehmer, menschlicher. Er bekommt lediglich größere Titten. That’s that. :)

    AntwortenLöschen