Mittwoch, 15. Mai 2013
Tegernseer Tönnchen II
Nach über zwanzig Jahren Berlin denkst du dir: Ich habe alles erlebt. Ich habe Kate Winslet bei Dreharbeiten in meinem Kiez gesehen, am Nachbartisch von Otto Sander beim Italiener gegessen und mit Helge Schneider an der roten Ampel gewartet. Was soll denn jetzt noch passieren? Was könnte mich vom Hocker hauen? Es war Mittagszeit und ich sitze mit einem kühlen Engelhardt (ältere Berliner wissen, was gemeint ist) vor dem Gasthaus meiner heutigen Wahl, um dem Volk mal wieder auf’s ungewaschene Maul zu schauen, da der tatsächliche Informationsfluss aus den Medienkonzernen und Staatssendern immer dünner wird. Und was kommt in diesem Augenblick den Bürgersteig entlang gewatschelt? Eine Entenmutter mit ihren sieben Küken. Gehen wie selbstverständlich am Lokal vorbei und würdigen mich keines Blickes. Hinter ihnen hat sich ein kleiner Stau von Bürolurchen gebildet, die bei dem herrlichen Wetter ihre dunkelgrauen Anzüge gegen hellgraue Exemplare getauscht haben. Ehrfürchtig halten sie Abstand, auch die Jugendlichen hinter ihnen haben von ihren Smartphones aufgesehen und betrachten jetzt neugierig die Tiere. Womöglich gibt es eine Tiererkennungs-App, die ihnen weiterhilft. Selbst die Kellnerin, die seit Jahrzehnten im Beruf ist, hat so etwas noch nicht gesehen. Dit is Berlin, ey!
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