Sonntag, 26. Mai 2013
Friedel Castor: Last Exit Dotzheim
Es folgt eine kurze marxistische Sonntagsmesse – ich bitte um Ruhe!
Ihr braucht Euch um die Gesundheit des Kiezschreibers keine Sorgen zu machen. Unsichtbar wacht aus der Ferne ein alter Held vergessener Tage. Unter einem albernen und völlig sinnlosen Pseudonym (nicht so voreilig Freunde! Die Überraschung kommt erst ganz am Schluss) muss er aufgrund seiner aufrechten Haltung in seinen Jahren als Jung-Siegfried das kostbare Wissen des deutschen Antifaschismus wie der letzte Druide unter der Geißel des römischen Imperialismus an eine neue Generation furchtloser Untergrundkämpfer weitergeben.
Ich bin auch jetzt noch nicht würdig genug, seinen Namen auszusprechen (zumindest nicht öffentlich). Jeder in unserer unbedeutenden Heimatstadt kennt ihn und dennoch würde keiner seinen Namen preisgeben. Damals nicht und heute nicht. Wir brauchen dafür auch keine Rituale, Orden und albernen Schwüre. Wir haben ganz einfach den Marxismus (kurze Zwischeninfo: die Uni-Bibliothek wird leider ab morgen bestreikt. Die Studienbedingungen sollen inzwischen auf dem Niveau von Albanien sein, aber immer schön weiter Atomkraftwerke in die bayrischen Urwälder bauen – Bäume können ja nicht schreien oder weglaufen … ganz toll. Aber ich spar mir jetzt einfach mal die Verbalinjurie).
Ungebrochen, schweigsam und allein ist er in diesem Augenblick irgendwo da draußen: Ein bescheidener Halt für seine nähere und ferne Umgebung und selbstverständlich ist er trotz seiner ungebrochenen Popularität zu keiner Zeit eine Gefahr für seine Mitmenschen. Ich muss seine neue Heimatstadt nicht nennen. Viele kennen sie und dennoch müssen wir wertlosen Erwerbsmenschen uns um die Ruhe dieses tapferen Einzelkämpfers nicht sorgen. Seine Karriere können wir aus Gründen der Sicherheit (ein verdächtiger Mann kommt gerade herein) nur in unverfänglichen Stichworten, mit denen unsere politischen Gegner nichts anfangen können (neue Liste ab 1. Juni in totem Briefkasten „hinter Rewe“), und diesmal wirklich ohne Rückfragen, weil es ja heute um was ganz anderes gehen soll: Startbahn West – Last Man Standing (ganz heiße Sache, bitte nicht mehr mailen, da sonst Server überfordert); sehr lange im Untergrund (und mehr sag ich echt nicht, Stefan); aktuelles Projekt seiner vollkommen autonomen Ein-Mann-Zelle: Anflug auf das böse Herz des Imperiums, die Frankfurter Börse (die Beta-Version ist echt krass, sieht aus wie in einem Kinofilm – zum Glück gibt’s die alten Klugscheißer mit den Schreibmaschinen nicht mehr! Stell dir mal vor, wir müssten alle drei Tage irgendwelche Farbbänder wechseln! Kein Wunder, dass es bei dieser Steinzeittechnik mit dem Sozialismus nicht geklappt hat. Oder war das Kommunismus? Naja, egal. Das mache ich nächstes Semester).
XY, wir folgen dir! Du bist unser Eisen- und Blutschild gegen Faschismus, Imperialismus, Fordismus, Kubismus und jetzt mal ganz konkret Wiesbaden-Dotzheim (nein, wir losen jetzt nicht noch mal, Rüdiger): Diese Pestbeule am Hintern des hessischen Finanz-, Turbo-, Mord-, Ausbeutungs- und Ikeakapitalismus muss ausgelöscht (bitte, Sven: „ausradieren“ gibt doch wieder Diskussionen) werden. Wir haben das wirklich alles sehr lange ausdiskutiert und das ist eben das Ergebnis. Tut uns leid! Ihr Dreckskapitalisten hattet im Beschleunigungszeitalter schließlich ausreichend Gelegenheit, euch begrifflich, inhaltlich, methodisch (ich kürze jetzt mal ab: Revolution ist wahre Beschleunigung, ihr Faschos!! Schon mal Delaforce gelesen, Schlafmütze? Ironie aus. Grüße auch an Oma99. Alles gut angekommen. Muss Schluss machen, eilige Sache und nachmittags Schwimmschule) auf den bewaffneten Kampf entschlossener Volksmassen (zu Fragen des Zivildienstes wird sofort nach Abschluss der Regierungsübernahme ein Ausschuss gebildet, er tagt vermutlich erst mal nicht öffentlich, Klaus, weil es sonst echt ein bisschen unübersichtlich wird) vorzubereiten.
Glaubt ihr echt, wir verschieben die Sache noch mal, ihr Schwachköpfe?! Glaubt ihr Bonzenschweine, Ihr könnt uns aufhalten? Ihr werdet unseren Anführer niemals finden! Obwohl wir ihn in ein weit entferntes Land bringen mussten, um ihn vor Interpol, Gestapo, Mossad, Kik und Uli Hoeneß zu schützen, ist er uns in unseren kleinen zerbrechlichen Hasenherzen doch immer nahe. Gegen seinen gut getarnten und weitläufig von undurchdringlichem Dornengestrüpp und wegloser Einöde umgebenen Unterstand ist mein antiker Pappkarton mit Holzbein ein geradezu palastartiges Anwesen. Frau und Kind werden ihm unter großen Entbehrungen und natürlich nur stundenweise von den allertreuesten Gefährten (keine Klarnamen!) mit verbundenen Augen zugeführt, die es in stummem Dienst an einer großen Sache, die weit über jedem einzelnen von uns steht, im Anschluss klaglos hinnehmen, als nahrhafte Speise für den weiteren Kampf gegen die Unterdrückung der Menschheit, ja – und jetzt scheue ich mich tatsächlich nicht, auch einmal pathetisch zu werden (man wirft uns Marxisten ja immer vor, nicht wahr, wir wären so gefühllos – schade, wäre eigentlich auch mal wieder ein gutes Thema gewesen, ich schreibe es irgendwo in eine Datei) für die Eroberung des gesamten Universums (Klingt blöd? Wenn alle Marxisten sind, gibt’s keine Faschos mehr, kapiert? Bitte noch mal auf Start und das nächste Mal genauer zuhören, bevor du hier einen endlosen Monolog hälst, der uns allen wirklich die letzten Energien raubt).
Ich komme zum Ende, da mein Wortschatz nicht ausreicht, die Kraft seiner strahlend blauen Augen zu beschreiben, denen der winzige Fingerzeit einer gequälten Kreatur genügt, um augenblicklich explosionsartig sämtliche Instinkte zu aktivieren und mit einer einzigen, erst mit modernster Technik optisch überhaupt erfassbaren Bewegung seines Schließmuskels für alle Zeiten die Ketten der Zensur, von Ausbeutung und Unterdrückung, von Faschismus und Feminismus, von Häusern und Türmen zu sprengen. (Apropos „gequälte Kreatur“: Ausnahmen wirklich nur in dringenden Fällen – und jetzt mal kurz was zur Frage der bewegungsinternen Frauensolidarität: Wegen dieser Pi-Mo, Po-Mi oder wie die heißt (die mit der Warze an der Nase) haben wir das reingenommen mit ihren Scheißallergien. Kommt heute nicht. Logo. Ist ja Samstagnacht. Kann man ja auch einfach mal woanders hinfahren. Wenn ich einen Schwerbehindertenausweis hätte, würde ich in so einer schönen Mainacht auch mehr unterwegs sein. Kost ja nix! Aber wenn man die Dinger fälscht, gibt’s Ärger, habe ich gehört).
Die Beschreibung seiner Ausbildung in einer eigens für ihn entwickelten Weltraumkapsel durch Elite-Ninja-Turtles erspare ich mir hier; Danke an Red Bull für die Solidarität, von der wiederum 7,3 Prozent als Spende (frag doch nicht immer so blöd, die Zahlen bestimmt unser Steuerberater) an die Welthungerhilfe in Offenbach überwiesen wird. Ihr braucht den Mann auch nicht jedes Mal mit Tränen in den Augen anzustarren, ey – kennt irgendjemand in diesem Ghetto die Worte „Inkognito“ und „Diskretion“? Wir haben hier 1765 am Hauptbahnhof gegen die Neonazis fast eine ganze Kommandostruktur verloren, als Tobias den Busfahrplan verloren hat und diese Schwachköpfe „einfach mal spontan“ in irgendeinen Bus gestiegen sind, ohne zu wissen, wo es hingeht. Bis alle wieder zu Hause ankamen, war es schon längst dunkel. Toll. Tag gelaufen. Nachts gehört die Gegend den Albanern. Ich würde besser nicht rausgehen, aber du kannst es gerne probieren. Ich wohne hier schon fast ein Jahr und brauch das nicht mehr. Aber wenn du als Pazifist nach 9 Jahren gewaltlosem Widerstand eine Messerstecherei mit Drogenhändlern und Zuhältern brauchst, nur um diesen ungesunden Kram zu kaufen. Da ist übrigens soviel Zucker drin wie in einem Zeppelin, aber du hörst mir ja nie zu. Wisst ihr Cyperface-Süchtigen überhaupt noch, was ein Zeppelin ist?
Wagt es nur, den Kiezschreiber (Adresse googeln, wir sind bei gutem Wetter vielleicht vegan grillen) blöd anzumachen! Dann wird’s richtig hässlich, Leute! XY war mit mir auf einer Schule, wir haben viel zusammen durchgemacht (repressives Milieu). Leute aus der „Szene“, für die echte Solidarität (nachschlagen, du Juso-Penner! Boah ey, sag bloß, du bist aus Schwaben? Bist du wenigstens schwul?) kein Fremdwort ist, brauchen kein Pfefferspray. Ihr habt nur die Gewalt, uns gehört die Zukunft. Lacht uns nur aus! Uns gehört nicht nur die gesamte Zukunft, sondern auch viele weitere Dinge, die derzeit noch in Arbeitsgruppen ausdiskutiert und dann einfach mal per Mail rumgeschickt werden, um der Burgeroisie mit seinen verstaubten Ansichten und bewegungslosen Hierarchien, die aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen scheinen, etwas fundamental Neues entgegen zu setzen. Es reicht! Doch, Ulla. Wir haben lange genug diskutiert. Linke sind viel geduldiger als rechte. Und warum? Jetzt mal der Neue da hinten, der hat noch gar nichts gesagt! Ach so? Taubstumm und aus Albanien? DU HIER NIX SCHROTT VERKAUFE ! VERSTANDE ?!
Ich kürze das jetzt mal ab, weil wir in einer historisch so einmaligen Gesamtkonstellation wie heute ab 14 Uhr ausnahmsweise mal keine Zeit für Endlosdebatten und Protokollgefechte haben. Sein finanziell durch den jahrelangen und zermürbenden Prozess um die eigentlich hoffnungslos an Krebs erkrankte Tochter (Pharmaindustrie war schuld) ruinierter Vater (die kindle-Version seiner Memoiren kommt ab ca. 12. Juni in den Handel) hat sich schon vor vielen Jahren in Richtung Süden abgesetzt. Quellen, die so unglaublich wichtig sind, dass wir sie eigentlich gar nicht öffentlich Quellen nennen dürfen, weil wir uns natürlich auch nicht permanent in Gefahr begeben wollen (vor allem, wenn wieder Vollmond ist), haben uns mitgeteilt (nein, diesmal nicht im Hauptbahnhof, Frank! Warum willst du das eigentlich jedes Mal so genau wissen?), dass es ihm gut geht. Dicht hinter der Grenze wartet er auf einen günstigen Moment zum Angriff auf den Feind, dem er einen lebenslangen und überhaupt sehr hartnäckigen Fußpilz verdankt, den er sich auf der Flucht zugezogen hatte. Drei Tage lag er in Basel mit hohem Fieber in einem kaum faustgroßen und vollkommen lichtlosen Verschlag, wo er einsam, aber ungebrochen mit dem Tode rang. Darüber sollten diese angeblichen „Profis“ von den Medien mal schreiben, statt immer nur mit anderen Angehörigen ihrer parasitären und unglaublich herrschaftsstabilisierenden Kaste (DAS BLEIBT. Sollen mich die Drecksbullen doch einbuchten!) in uncoolen Raucherkneipen abzuhängen. Draußen scheint übrigens die Sonne, ihr Ignoranten. Schon mitgekriegt, dass der Frühling da ist? Oder soll ich euch erst den Rollator abstauben, ihr Langweiler? Typisch, Mann. Aber natürlich alle mit Festanstellung. Da hast du als Frau gar keine Chance. Ich habe es echt versucht. Aber die haben mich gleich am ersten Tag so fertig gemacht, das war eigentlich schon strukturelle Gewalt. Aber wenn in so einer Situation nicht zufällig eine andere Frau dabei ist, hast du keine Chance. Siehste ja an diesem Nuschelgreis und der Stern-Reporterin. Brauchste gar nicht erst klagen. Vor Gericht halten die Machos zusammen. Mauer des Schweigens. Ich bin dann auch einfach gegangen und habe das später in der Gender-Mainstreaming-Gruppe meines Studentenwohnheims aufgearbeitet, ohne dass ich gleich darüber einen fetten Artikel in der Uni-Zeitung schreiben musste wie Barbara.
Er ist einer dieser Menschen, von denen es einmal heißen wird: Wo endet seine Geschichte und wo beginnt sein Mythos? Alles verbindet sich in der Figur dieses modernen Helden zu einem Kosmos von großartiger Bedeutung, für die uns an dieser Stelle leider die nötige Zeit fehlt. Und kommt mir nicht mit dieser ewigen Leier von wegen der islamischen Feiertage, an denen ihr den Abschnitt nicht schreiben durftet. Toleranz hat Grenzen. Irgendwo ist das alles ja auch eine Ausrede. Statt am 1. Mai ein Subotnik zu machen, rennt ja alles gleich nach Öffnung der Türen in die nächstbeste Kaschemme, um sich volllaufen zu lassen.
P.S.: Hohe Orden und akademische Grade können nur ausnahmsweise und selbstverständlich auch erst postum entgegen genommen werden. Und Diskretion schreibt man nicht mit CK, Gundula! Wie oft soll ich dir das denn noch sagen? Noch ist es nur ein Praktikumsplatz …
P.P.S.: Letzte Warnung an alle Fanatiker da draußen! (Wo bleibt die Aufzählung, Ken?). Falls es irgendetwas gibt, dass auch nur entfernt nach einem Juristen oder Hessen aussieht und dass sich jetzt noch aus der Deckung wagt, spielt nicht nur mit dem eigenen Leben, sondern mit den gesamten zivilisatorischen Errungenschaften unserer Hauptstadt, wenn nicht sogar Europas. Toleranz hat Grenzen – treibt es nicht zu weit! Und das alles mit allem zusammenhängt und damit natürlich auch deine Scheißmalediven, wissen wir selbst, Uschi. Ich will hier nicht drohen, weil das sonst nicht unsere Art ist (eure schon), aber Fanfreundschaften kann man auch beenden. Hallo! Kapiert? Wie deutlich soll ich noch werden, „Sheldon“.
P.P.P.S.: Ach du Scheiße! Gendern vergessen. Das gibt’s doch nicht. Gibt’s da noch keine App? Typisch Microsoft. Lahmärsche. Aber Apple kaufe ich schon aus Prinzip nicht.
Ich komme nun wirklich zum Schluss: Es heißt, er sei noch bescheidener geworden. Er selbst würde übrigens solche überflüssigen Bemerkungen gar nicht kommentieren und nur mit stummem Blick auf Uhr, Picknickdecke und seinen Rikschamann den Aufbruch einleiten, um wortlos Taten wahrer Manneskraft folgen zu lassen, da es an diesem Ort nutzloser Geschwätzigkeit für ihn offenbar nichts mehr zu tun gibt.
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