Sonntag, 5. Mai 2013
Taxi zur Bank
Ein Deutscher landete in Zürich, um sein Schwarzgeldkonto aufzulösen. Der Mann hatte ein schmales Gesicht und ein starkes Gebiss. Er hatte kein Gepäck und nahm sich ein Taxi, um vom Flughafen in die Stadt zu kommen. Der Taxifahrer – ein quirliger junger Mann – fragte ihn routinemäßig, ob er schon einmal in Zürich gewesen sei und wie es ihm gefiele. Der ältere Herr erzählte freimütig, dass er eine Million Franken loswerden müsse. Deswegen müsse er zu seiner Bank, allen Deutschen würde ja bekanntlich dieses Jahr ihr Konto gekündigt werden. Er wirkte gekränkt.
„Geld macht nicht nur glücklich, sondern auch jede Menge Sorgen“, sagte er nachdenklich.
„Na, ihre Sorgen möchte ich haben“, antwortete der Taxifahrer.
„Sie können sich den Druck gar nicht vorstellen, den ein Vermögen erzeugen kann. Ich liege oft nachts wach und kann nicht einschlafen. Das Geld ist wie ein Kind, um das ich mir Sorgen mache.“
„Haben Sie Kinder?“
„Ja, mein Sohn ist Rechtsanwalt und lebt in Hannover.“
„Was wollen Sie denn mit dem Geld machen? Ausgeben?“
„Geld ausgeben ist genauso schwer wie Geld verdienen. Mein Leben lang habe ich das Kapital vermehrt. Mir würde es körperlich Schmerzen bereiten, wenn ich sinnlos Geld ausgeben müsste.“
„Geld ausgeben ist doch kein Problem. Das ist viel leichter als Geld verdienen“, sagte der Taxifahrer und lachte in den Rückspiegel.
„Was würden Sie denn mit einer Million machen?“
„Na, ausgeben. Was denn sonst?“
„Junger Mann, eine Million können Sie nicht einfach so ausgeben. Eine solche Summe investiert man.“
„In was soll ich denn investieren? Ich bin Single, mein Taxi ist fast abbezahlt – also wie soll ich denn da noch investieren? Wo ist denn überhaupt der Unterschied zwischen investieren und ausgeben?“
„Bei einer Investition bekommen Sie etwas heraus. Im Idealfall mehr Geld, als Sie investiert haben.“
„Aber dann hätten Sie ja noch mehr Geld! Ihre Probleme würden größer werden.“
Der alte Mann schwieg eine Weile.
„Wissen Sie, was ich mit dem Geld machen würde? Ich würde nach Sils Maria fahren, das ist der schönste Ort in der ganzen Schweiz. Und ich würde mir im besten Hotel das schönste Zimmer nehmen. Kennen Sie das Waldhaus?“
„Nein, ich mache nie Urlaub in der Schweiz.“
„Das ist ein alterwürdiges Hotel, da haben schon Hermann Hesse und Thomas Mann gewohnt. Der Blick auf den See ist herrlich. Natürlich würde ich Halbpension nehmen. Tagsüber würde ich durch die Täler wandern oder am Seeufer.“
„Das sind ja sehr konkrete Pläne. Waren Sie denn schon mal da?“
„Ja, aber nur in einer kleinen Pension übers Wochenende. Aber ich will da unbedingt wieder hin.“
Der alte Mann schwieg wieder und schien nachzudenken. „Wenn ich Ihnen das Geld einfach schenken würde? Dann wäre ich das Schwarzgeld los und könnte das Konto schließen.“
„Schenken?“ Der Taxifahrer riss erstaunt die Augen auf. „Einfach so?“
„Warum nicht? Sie fahren mich wieder zum Flughafen zurück und anschließend weiter nach Graubünden zu Ihrem Hotel.“
„Wahnsinn. Super!“ Der junge Mann lachte laut auf und klopfte sich auf den Schenkel. „Warum kommen Sie nicht einfach mit?“
„Ich?“ fragte der alte Mann irritiert.
„Na klar! Wir nehmen uns jeder eine Suite und lassen es richtig krachen. Mit Roomservice und Champagner. Was meinen Sie?“
„Ich sehe gerade auf meinem iPhone nach, was der Spaß kostet.“ Er schwieg eine Weile. „Da brauchen wir ein halbes Jahr, bis das Geld ausgegeben ist.“
Der Taxifahrer schüttelte lachend den Kopf.
„Waren Sie schon mal in Tokio? Da wollte ich schon immer mal hin. Wir bleiben ein paar Wochen am Silser See, entspannen uns, und dann fliegen wir von Zürich nach Japan. Die Leute sollen dort total nett sein, dazu die vielen Wolkenkratzer in Tokio. Das wäre doch klasse, oder?“
Der alte Mann lächelte zum ersten Mal. „Ja, das wäre toll. Ich bin selbst noch nie dagewesen. Geschäftlich war ich immer nur in China und dort ist es nicht schön.“
„Also ziehen wir’s durch?“
„Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen.“ Der alte Mann lächelte wieder und sah aus dem Fenster.
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