Mittwoch, 23. Oktober 2024

Meine Ruhe

 


Seit 33 Jahren lebe ich allein, seit 23 Jahren bin ich nicht mehr berufstätig. Ich habe endlich meine Ruhe. Ich kann machen, was ich will. Ich lebe den Traum meiner Kindheit. Sommerferien, die niemals zu Ende gehen. Als ich manchmal noch im Schlafanzug beim Abendbrot saß. Ein Leben nach dem Lustprinzip. Wenn ich am helllichten Tag ein Nickerchen mache, muss ich es nicht begründen. Da ist niemand, der mich fragt, warum ich das mache. Wenn ich Musik hören will, läuft die Platte, die ich ausgesucht habe. Wenn ich um neun Uhr morgens den Fernseher einschalte, nörgelt niemand. Ich erinnere mich an den Loriot-Sketch, in dem eine Frau aus der Küche ihren Mann, der gerade im Sessel sitzt, fragt, was er gerade macht. „Nichts“. Das ist mein Leben.

Da ich kein Gehalt beziehe, zahle ich den Mindestsatz der Kranken- und Pflegeversicherung; dazu kommen die Nebenkosten meiner kleinen Wohnung. Fünfhundert Euro Fixkosten, dazu ein wenig Geld für Essen und Trinken und ab und zu mal ein neues T-Shirt. Keine Miete, kein Auto, keine Auslandsreisen, keine Familie, keine teuren Hobbys. Ich habe ausgerechnet, dass mein finanzieller Treibstoff bis 2050 reicht, wenn ich den Ball flach halte. In acht Jahren gehe ich in Rente und könnte dann immer noch die Grundsicherung beantragen – falls ich bei meinem Lebenswandel überhaupt so ein hohes Alter erreiche. Man weiß ja nicht, wo die Roulettekugel liegenbleibt. Meine Mutter starb mit 57, mein Vater mit neunzig. Auch in dieser Hinsicht habe ich meine Ruhe.    

7 Kommentare:

  1. Es bleibt eine Rechnung mit vielen Unbekannten:

    Ist am Ende des Lebens noch Geld übrig oder ist es umgekehrt ?
    WIe entwickeln sich die Preise oder der Wert eigenen Vermögens ?
    Welche Bedingungen sind oder werden an GruSi geknüpft, wie die Größe der eigenen Rücklagen?
    Gibt es GruSi auch mit Blackrock-Fritz oder nur food stamps ?
    Wird das Rentenalter auf fünf Jahre nach dem Tode angehoben, Übergewicht progressiv besteuert oder die GKV zugunsten der PKV abgeschafft?

    Der Zufall wird das Spiel entscheiden. Auf diese bittere Erkenntnis müssen wir erst einmal einen trinken.

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    1. Ja, das stimmt. Die Inflation 2022 ist ein gutes Beispiel. Bei der Grundsicherung ist nur ein Vermögen von 10.000 Euro erlaubt. Rente bekomme ich sowieso nur 500 Euro im Monat, das habe ich gar nicht so auf dem Radar. Aber die Lebenshaltungskosten kann man schon steuern. Es muss nicht immer Kaviar sein. Leitungswasser statt Perrier usw.

      Heute ist Fußballabend und ich bin mit zwei Freunden zum Trinken, äh: zum Gucken verabredet.

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  2. Seit 10 Jahren arbeite ich nur noch 50%, und seit drei Jahren gar nicht mehr. Rückblickend: Hätte ich noch etwas früher machen sollen. Ein bischen einschränken, um nicht arbeiten zu müssen, kann ich unbedingt weiterempfehlen

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    1. Nur so konnte ich meinen Traum vom Schriftstellerleben verwirklichen :o)

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    2. Wenn das der CDU-Vorsitzende wüsste...

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  3. Wie ordne ich das am besten ein? Als bedürfnisarm-frauenlosen Paschalismus oder als spätrömische Dekadenz für Arme? Ist aber eigentlich egal. So kann's auch funktionieren. Wenn man im Alter nicht über die Maßen fett wird, kann man ein T-Shirt guter Qualität tatsächlich jahrzehntelang tragen. Auf jeden Fall: Führten mehr Menschen ihr Leben nach diesem angenehm entspannten Entwurf, die Welt wäre ein besserer Ort. Respekt!
    PS. Um die Zahl der Unbekannten gering zu halten empfiehlt es sich, einfach möglichst wenige Rechnungen aufzumachen.

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