Donnerstag, 21. Juli 2016

Schule des Schreibens

„Alkohol löst keine Probleme, aber das tut Rhabarberschorle auch nicht.“ (Andy Bukowski)
Ich hatte die Annonce in der „Literatur aktuell“ gelesen, einen Abend über mein Vorhaben nachgedacht und nun stand ich hier. Akazienstraße, Berlin-Schöneberg. Ein ehrwürdiger Altbau, mit Stuckornamenten verziert.
Ja, ich werde Schriftsteller. Der Entschluss ist gefasst und mit der nötigen Entschlossenheit, die am Anfang jeden Entschlusses … nein, es ist zu viel Schluss und Schloss in diesem Satz, der doch am Anfang steht. Aber genau darum bin ich ja hier: „Professor Stammel’s Schule des Schreibens – Wir führen Sie in zwölf einfachen Lektionen zum Welterfolg.“ So hatte es in der Annonce gestanden und jetzt stand ich vor den heiligen Hallen der Gelehrsamkeit. Mit klopfte das Herz.
Ich las die Reihe von Schildern neben dem Durchgang zu den Hinterhöfen. Nach einer Weile fand ich es: „Professor Stammel’s Schule des Schreibens. Zweites Hinterhaus, fünfter Stock.“ Ich lief durch den ersten Hinterhof, der voller Sperrmüll war. Vielleicht logierte hier ein Trödler oder Krämer? Im zweiten Hinterhaus erklomm ich ein düsteres Treppenhaus mit knarrenden Stufen.
Schließlich stand ich vor der Tür im fünften Stock. Auf dem Klingelschild stand in krakeliger Handschrift „Schule d. Schreibens“. Ich klingelte. Nichts. Ich klingelte ein zweites Mal. Da öffnete sich die Tür und ein schmales Gesicht lugte misstrauisch in den Flur.
„Was wollen Sie?“ fragte ein kleiner, grauhaariger Mann.
„Ich möchte Schriftsteller werden“, sagte ich voller Stolz und reckte mich dabei ein wenig.
Er grinste heimtückisch. „Kommen Sie herein“, war seine Antwort und er öffnete die Tür, so dass ich eintreten konnte.
„Warten Sie hier“, sagte er und verschwand hinter einer Tür. Ich stand in einem gewöhnlichen Wohnungsflur. Erhofft hatte ich mir ein großes helles Institut, ein Universitätsgebäude – aber gut, die Kultur treibt oft im Verborgenen ihre schönsten Blüten hervor.
Nach einer Viertelstunde hörte ich, wie eine Stimme „Herein!“ rief. Ich öffnete die Tür und am Schreibtisch vor mir saß derselbe Mann, der mir die Tür geöffnet hatte. Neben dem Telefonapparat stand ein Namensschild: „Studienleiter Magister Bürstlmayr“.
„Guten Morgen. Ich möchte gerne Herrn Profesor Stammel sprechen. Ich möchte mich zur Schule des Schreibens anmelden.“
„Der Herr Professor ist außer Haus. Ich werde mich um Ihren Antrag kümmern.“
„Gut. Ich möchte den Kursus buchen.“
„Wieviel Geld haben Sie?“ fragte Bürstlmayr.
Ich zog meine Brieftasche hervor und zählte mein Geld. „Siebzig Euro.“
„In Ordnung. Geben Sie her.“
Ich reichte ihm die Geldscheine und er ließ sie in einer Schublade verschwinden. „Sobald Sie mehr Geld haben, bringen Sie es mir.“
„Soll ich jetzt das Formular ausfüllen?“
„Sie bekommen nach Abschluss des Studiums eine Urkunde. Das reicht völlig.“ Dann stand er auf. „Kommen Sie mit!“
Er führte mich in einen Nebenraum, in dem einfache Holztische und Stühle standen. Drei junge Menschen waren über ihre Hefte gebeugt und schrieben schweigend. An der Wand war eine Reproduktion des bekannten Tischbein-Gemäldes „Goethe in der Campagna“ mit Reißzwecken befestigt.
Bürstlmayr führte mich zu einem freien Tisch vor einem Fenster, durch dessen schmutzige Scheiben man kaum das Nachbargebäude erkennen konnte.
„Sehen Sie dort drüben den Stapel mit den Illustrierten? Suchen Sie sich ein Exemplar heraus, lesen Sie es und wählen Sie eine Person aus. Über diese Person schreiben Sie eine Kurzgeschichte. Wenn Sie fertig sind, bringen Sie mir den Text. Verstanden?“
Ich nickte und zog eine „Gala“ aus den neunziger Jahren aus dem Stapel. Nach einigem unschlüssigen Blättern entschied ich mich für Lulu Madrid, eine Opernsängerin aus Amerika. Ich schrieb eine herzzerreißende Geschichte über ihren krebskranken Vater, den sie mit den Einnahmen aus ihrem Gesang unterstützt. Der Vater, ein ehemaliger Berufsboxer, der sie ganz alleine großgezogen hatte, weil ihre Mutter früh am Alkoholismus zugrunde gegangen sei. Ich fabulierte die Geschichte so schön, dass ich am Ende selbst Tränen in den Augen hatte.
Es war früher Nachmittag, als ich die Geschichte zu Bürstlmayr ins Büro brachte. Er nahm die Blätter in die Hand und las sie. Ich war aufgeregt. Was würde er zu meiner ersten Arbeit sagen? War ich der Schule des Schreibens von Professor Stammel überhaupt würdig? Hatte ich das Zeug zum Schriftsteller?
„Gar nicht mal so übel“, brummte Bürstlmayr nach einer Weile bedächtig. „Der Anfang ist ein bisschen holprig. Den müsste man umformulieren. Aber ansonsten nicht schlecht. Morgen früh kommen Sie wieder, dann machen wir mit dem Thema Poesie weiter.“
Ich lief vor Freude rot an und ging glücklich nach Hause. Der erste Schritt auf dem Weg zum Ruhm war vollbracht.
P.S.: So entsteht der Content bei Bonetti Media. Haben Sie Interesse? Möchten Sie sich noch heute zu einem Kursus anmelden? Wieviel Geld haben Sie?
Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich - Hold tight. https://www.youtube.com/watch?v=ADTSfaApGF8

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