Donnerstag, 26. Dezember 2024

Immobilien-Anekdoten

 

Was Ratschläge angeht, um die ich nicht gebeten habe, bin ich offenbar ein Idiotenmagnet. Neulich habe ich mich mit einem Miteigentümer in der Eingangshalle unseres Hauses unterhalten. Ich habe meine Wohnung im Februar 1992 gekauft, er hat seine Hinterhauswohnung 1989 gekauft. Inzwischen gehört ihm eins der beiden Hinterhäuser komplett und er lebt als Miethering in einem Landhaus bei Bremen. Er hat meine Wohnung noch nie betreten, hat mir aber den Rat gegeben, meine Wohnung nach all den Jahren zu renovieren und auch alle Wasser- und Stromleitungen zu erneuern. Außerdem sollte ich die Fliesen in meinem Bad rausreißen, um eine Fußbodenheizung einbauen zu lassen. Seine Frau habe das in ihrer Wohnung, eine Etage über mir, machen lassen, damit sie nicht so kalte Füße bekommt, wenn sie aus der Badewanne steigt. Ich lege da seit knapp 33 Jahren ein Handtuch hin. Ich habe seinen Vorschlag unkommentiert gelassen. Heiligabend habe ich den ganzen Nachmittag bei Tee und Kuchen mit meiner Nachbarin zusammengesessen und wir haben sehr gelacht. Besagter Ratgeber hatte vor zwanzig Jahren auch die Idee, in unserem großen Garten ein Kaffeehaus zu bauen, in dem ich dann meine Dichterlesungen machen könnte. Schön, dass er an mich gedacht hat. In der Eigentümerversammlung hat ihn natürlich keiner ernst genommen.

Wann sollte man ein Haus bauen oder eine Wohnung kaufen? Erstens ist eine solche Entscheidung immer ein Statement. Hier bleibe ich, vielleicht nicht für immer, aber doch für eine lange Zeit. Es ist auch finanziell lukrativ, selbst wenn der Immobilienmarkt stagniert. Die beste Rendite ist eine nicht gezahlte Miete. Oder wie man in Rheinhessen sagt: Liebe vergeht, Acker besteht. In welchem Alter befasst man sich mit dem Thema? Die meisten fangen in der Phase der Familiengründung und der Festanstellung an, wenn man auch schon genügend Rücklagen für eine Anzahlung gebildet hat. Vielleicht mit dreißig oder vierzig Jahren. Wer würde mit sechzig Jahren mit dem Bau eines Hauses anfangen? Die Kinder sind aus dem Haus und man ist auf der Zielgeraden zu einem entspannten Lebensabend.

Trotzdem ist ein Freund auf genau diese Schnapsidee gekommen. Nennen wir ihn Holgi. Er selbst stammt aus einer altehrwürdigen Mieterdynastie. Er selbst hat immer Miete gezahlt, seine Eltern auch, ebenso seine Schwester. Er hat also null Erfahrung. Wie heutzutage üblich fing er an, im Internet zu surfen. Nach sechs Monaten „Recherche“ ist er, O-Ton Holgi, „gut im Thema drin“. Er nimmt Kontakt zu einer Firma auf, die Fertighäuser baut. „Die haben eine gute Bewertung im Internet“, meint Holgi. Das wäre für mich ein Kriterium, wenn ich eine Pizza bestelle, aber nicht bei einem Bauprojekt. Seine Frau hat eine Wiese geerbt, die man möglicherweise bebauen kann. Genaues weiß man nicht.

Wie würde man in diesem Fall vorgehen? 1. Einen Termin beim zuständigen Bauamt machen und dann eine Baugenehmigung beantragen. 2. Sobald man sie hat, lässt man sich von einem halben Dutzend Unternehmen Angebote machen. Nicht Holgi. Er macht einen Termin beim Fertighausfritzen seiner Wahl und lässt sich ein Haus aufschwatzen, das inklusive Anschluss an die Kanalisation, das Stromnetz usw. 650.000 Euro kosten soll. 170 qm Wohnfläche, kein Keller, in die Einliegerwohnung soll auch noch die Schwester seiner Frau einziehen. Eigenes Vermögen: 300.000, Kreditsumme: 350.000. Ich rechne ihm vor, dass er den Kredit bis zu seinem achtzigsten Geburtstag abstottern muss. Dann müsse er eben bis achtzig arbeiten. Holgi ist Angestellter. Es gibt keine achtzigjährigen Angestellten. Auch als Selbständiger bekommt er im hohen Alter keine Aufträge und auch keinen Job mehr. Die Unternehmen setzen bei Stellenausschreibungen und Projektvergaben inzwischen KI ein. Alter ist natürlich ein Auswahlkriterium. Die KI würde sein Anschreiben automatisch in den Spamordner verschieben, kein Mensch bekäme es je zu Gesicht.

Eigentlich ist die Sache ein finanzielles Himmelfahrtskommando, aber Holgi ist Feuer und Flamme. Mit einem seligen Kinderlächeln zeigt er mir eine Weihnachtskarte der Fertighausfirma. „Die haben uns sogar eine Karte geschickt.“ Ein Vordruck ohne Unterschrift, vermutlich tausendmal rausgegangen, auf der Vorderseite sieht man – Surprise, Surprise – ein Fertighaus. „So wird unser Haus vielleicht auch mal aussehen.“ Holgi glaubt, er müsse eines Tages nur noch zu seinem Grundstück fahren, bekäme einen Schlüssel in die Hand gedrückt („Die bauen schlüsselfertig“) und könnte den Möbelpackern Bescheid sagen. Das Grundstück hat, wenn es bebaut werden darf, einen Wert von 100.000 Euro, Haus und Grundstück also einen Gesamtwert von 750.000 Euro. Was kriegt man in seiner Stadt für das Geld? Ich habe mal nachgesehen. Zum Beispiel eine denkmalgeschützte Gründerzeitvilla mit 570 qm Wohnfläche und 2500 qm Grundstücksfläche. Man bewohnt einen Teil des Hauses und lässt seine Mieter die Hypothek abtragen. Aber Holgi startet nächstes Jahr sein großes Projekt. Ich freue mich jetzt schon auf den Moment, in dem es ihm langsam dämmert, dass er wohl einen großen Fehler gemacht hat. Besagte Nachbarin, die selbst seit Jahrzehnten zwei große Eigentumswohnungen in Berlin besitzt, hat natürlich Tränen gelacht, als ich ihr die Story erzählt habe.

P.S.: Sucht man nach vergleichbaren Objekten, bekommt man Holgis Traumhaus mit Grundstück (in einem eingemeindeten Dorf am Rand des Stadtgebiets) für 250.000 Euro. Beim Wiederverkauf würde er also niemals 750.000 Euro bekommen, seine Erben auch nicht.

P.P.S.: Bis zur Pensionierung von Holgis Frau 2032 müssen sie ohnehin in einer anderen und weit entfernten Stadt bleiben. Man könnte das Haus also auch wesentlich später bauen. Derzeit zahlen sie zweitausend Euro Miete. Dazu käme der Kredit, ca. 1.500 Euro ohne Zinsen monatlich. Lustigerweise hat seine Frau auf dem Nachbargrundstück mit ihren beiden Geschwistern ein Haus mit zwei separaten Wohnungen geerbt und renoviert (Marktwert: 270.000 Euro), in das sie einfach einziehen könnten. Ihre Schwester lebt schon dort. Aber das wäre Holgi vermutlich zu einfach und nicht kostenintensiv genug.

P.P.P.S.: Ich verkaufe gerade das Haus, das ich im Sommer geerbt habe. Holgi hat mir bei meinem letzten Besuch wertvolle Tipps gegeben. Er ist eben „gut im Thema drin“. In Augenblicken, in denen Holgi sich unbeobachtet fühlt, versucht er, übers Wasser zu wandeln.

2 Kommentare:

  1. So wird´s gemacht:
    Noch vor 2000 Ruine in einem damals schon teuren schwäbischen Ballungsraum gekauft.
    200 000 De Mark, für heutige Verhältnisse ein Witz.
    Alles raus, Strom, Heizung, Wasser, Abwasser, alles selber gemacht.
    AKTI (Aktivitätsspielplatz) und Elektrobaukästen zu Weihnachten bringen doch was.
    You Tube Tutorials gab es da noch nicht.
    Verputzen hat mir ein Gipser gezeigt.
    Macht Spaß, wenn man es nicht jeden Tag machen muß.
    Fliesen legen ist dann auch einfach, wenn der Untergrund stimmt.
    Küche....genau, mancher legt da ja 30 000 hin.
    Seit 15 Jahren Mietfrei.
    Ja, ich bin Schwabe.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Sehr gut. Chapeau! Jetzt ist dein Haus vermutlich eine halbe Million wert. Es geht doch nichts über eine selbstgenutzte Immobilie.

      Löschen