Freitag, 8. September 2023

Wichtelbach – Die Idylle trügt

 

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In Deutschland ist jeder Tag wie eine Wagner-Oper. Götterdämmerung. Die Welt geht unter. Die Wirtschaft verzeichnet ein Minus von 0,3 Prozent. Bereuet, das Ende unseres Wohlstands ist nahe. Nächstes Jahr um diese Zeit schlafen wir alle auf der Parkbank. Kann sich noch jemand an die Bankenkrise erinnern? 2009 sank das BIP um 5,7 Prozent. Im ersten Coronajahr 2020 betrug das Minus 3,8 Prozent. Haben wir es damals in unserem Alltag gespürt? Hatte es Einfluss auf unser Leben? In diesem Land leben achtzig Millionen Drama Queens.

Das Problem liegt viel tiefer. Die Fortschrittsfeindlichkeit der konservativen Bevölkerungsmehrheit ist die größte Bedrohung des „Standorts“. E-Autos? Wollen wir nicht. Dann setzt eben ein amerikanischer Hersteller ganz provokant eine Fabrik an den Rand der deutschen Hauptstadt. Wann hat es zuletzt ein ausländischer Konzern gewagt, die deutsche Autoindustrie in ihrem eigenen Land herauszufordern? Jetzt wird das Werk massiv ausgebaut. Die Chinesen zeigen gerade auf der IAA, dass sie den europäischen Markt mit billigen E-Autos aufrollen werden. Erneuerbare Energien? Wollen wir nicht. Wir waren bei dieser Zukunftstechnologie mal ganz vorne, jetzt machen andere das Geschäft. Transrapid? Wollen wir nicht. Eine deutsche Erfindung, die in Deutschland nie eine Chance hatte. Jetzt bauen Japaner und Chinesen Hochgeschwindigkeitszüge, die 600 km/h schnell sein werden.

Der letzte James-Bond-Film mit Roger Moore wurde 1985 gedreht, dem Jahr, in dem ich Abitur machte. Ein IT-Schurke will das Silicon Valley überfluten, um alleiniger Herrscher der Computerwelt zu werden. Heute würde man so ein Drehbuch wortlos in den Müll schmeißen.

Der Bierpinsel in Steglitz, ein Meilenstein der Pop-Architektur, ist für mich das schönste Gebäude der Hauptstadt.

Vor zwanzig Jahren war der Arbeitsbegriff noch ein deutscher Fetisch. Neben Erwerbsarbeit gab es Beziehungsarbeit (Liebe), Erziehungsarbeit (Familie) und Hausarbeit (Spaghetti kochen, staubsaugen). Den nächtlichen Schlaf hat man vielleicht Erholungsarbeit oder Regenerationsarbeit genannt. Auf einer Tagung hat ein Sozialwissenschaftler mal sein Konzept der selbstbestimmten „Eigenarbeit“ präsentiert. Für mich nix anderes als Hobby oder DIY. Sein Slogan lautete „Eigenarbeit macht frei“. Ich habe ihn dann auf die Inschrift über den Toren deutscher Konzentrationslager hingewiesen.

Die gute alte Zeit. Clärenore Stinnes war Mitte der 1920er Jahre die erfolgreichste Rennfahrerin Europas. Sie gewann 17 Autorennen, fast ausschließlich gegen Männer. Sie war der erste Mensch, der in einem Auto die Welt umrundete. In zwei Jahren legte sie 46.000 Kilometer zurück. Noch vor Beginn der Nazi-Herrschaft zog sie nach Schweden und verbrachte nach dem Krieg regelmäßig ihren Urlaub in Irmenach im Hunsrück. Seit Jahrzehnten hat es in der Formel 1 keine Frau mehr gegeben. Wo ist die Clärenore des 21. Jahrhunderts?

3 Kommentare:

  1. .............Clärenore Stinnes......alsVertraute ihres Vaters wurde sie nach dessen Tod aus dem Konzern zugunsten ihrer Brüder rausgemoppt......VON IHRER MUTTER......Frauensolidarität lach

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  2. kennst du nicht die berlinerin heidi hetzer? sie fuhr auch um die welt mit einem auto, älter als sie selbst. war ein toller bericht im tv.

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    1. Ja, tolle Frau. Einmal rund um die Welt von 2014 bis 2017. Aber heutzutage hast du halt Handy und Navi - es ist nicht das gleiche wie neunzig Jahre früher. Heute gibt es überall Hotels, Restaurants und Tankstellen. Selbst eine Reise zum Südpol kann man inzwischen im Reisebüro buchen. Anfang des 20. Jahrhunderts hat man dieses Abenteuer noch mit dem Leben bezahlt.

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