Dienstag, 1. November 2022

Trash-Interviews

 

Ich habe in meiner Zeit als Kiezschreiber eigentlich nur Trash-Interviews gegeben. Bis auf die Stunde, die ich beim rbb im altehrwürdigen Funkhaus war. Der Sender heißt 88,8.

Das zweite Interview war bei Radio Alex, die aus dem Brunnenviertel, meiner damaligen „Wirkungsstätte“, gesendet haben. Vorher hieß der Laden OKB. Offener Kanal Berlin. Da darf jeder mal senden. Rolf ist seit ewigen Zeiten dabei. Seine Sendung heißt OKBeat. Als DDR-Kind hat er schon seine eigenen Radiosendungen auf Kassette aufgenommen und seine Umgebung damit gequält. Er ist Hartz-IV-Empfänger und aktives SPD-Mitglied. Eine ganz aparte Kombination. Da habe ich zwischen den Songs Kurzgeschichten vorgelesen

Das dritte Interview haben irgendwelche Austauschstudenten aus obskuren Balkanstaaten aufgenommen, die glaubten, ich hätte was zu sagen. Loser. Sie hatten eine Kamera und haben das Gespräch auf der Aussichtsplattform des Flakbunkers im Humboldthain gedreht. Keine Ahnung, was ich gesagt habe. Keine Ahnung, ob die Scheiße irgendwo im Kosovo gesendet wurde.

Das vierte Interview gab ich einer polnischen Studentin, die an ihrer Masterarbeit über Gentrifizierung in Berlin schrieb. Wir trafen uns in einem Café im Schillerkiez in Neukölln. Nach Stilllegung des Flughafens Tempelhof war hier der Bevölkerungsaustausch zwischen Unter- und Mittelschicht gerade in vollem Gang. Ich zog ein knallgelbes Hoodie und Chucks an. Was Problem-Boomer eben so machen, wenn sie junge Frauen mit Mörderhupen treffen.

Bei einem Cappuccino erklärte ich ihr, wie das hier in Berlin läuft. Habe mich richtig in Rage geredet. Social Justice Warrior nix dagegen. Ich deutete auf zwei Studenten am Nachbartisch und sagte: „Schau dir die Jungs an. Der Papa von dem einen ist Zahnarzt, der Papa von dem anderen ist Rechtsanwalt. Die sind nicht von hier, todsicher aus Westdeutschland. Die machen mit ihrem Geld den ganzen Kiez kaputt. Und die türkischen Familien können sich eine neue Bleibe suchen. Das Café, in dem wir gerade sitzen, hat es früher nicht gegeben. Das ist natürlich auch ein Teil der Gentrifizierung. Kein Türke würde hier freiwillig reinkommen. Überhaupt die ganze vegane Öko-Scheiße!“

Im Café ist es still geworden. Wütende Blicke. Aber wenn ich mal in Fahrt bin, gibt es kein Halten mehr. Am Ende frage ich sie, ob sie auch zur U-Bahn geht. Da fragt sie mich, ob ich nicht hier wohnen würde. Nee, sage ich, ich habe eine Eigentumswohnung in Wilmersdorf. Mein Vater, der mir diese Wohnung vor dreißig Jahren gekauft hat, ist übrigens ein Architekt aus Westdeutschland. Jetzt dürfen Sie lachen. 

 

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