Maximilian
Grube arbeitete als Life Coach und hatte sich auf die Resozialisierung von
Berufspolitikern spezialisiert. Er saß in seinem alten Opel Astra, den er für
diesen Zweck angeschafft hatte, und wartete vor dem Wirtschaftsministerium auf
Hubertus Nothnagel, seinen neuen Kunden.
Es
klopfte an die Scheibe der Beifahrertür. Grube sah ein freundliches rundes
Gesicht mit Halbglatze und Hornbrille. Er nickte ihm zu. Nothnagel ging zur
hinteren Fahrzeugtür und öffnete sie.
„Nein,
nein, mein lieber Herr Staatssekretär. Sie haben keinen Dienstwagen mehr und
ich bin nicht ihr Chauffeur. Setzen Sie sich bitte auf den Beifahrersitz.“
Nothnagel
schloss die Tür und setzte sich neben Grube.
„Ich
wünsche Ihnen einen guten Tag, Herr Grube. Schön, dass wir uns endlich persönlich
kennenlernen. Wie ist das werte Befinden?“
„Diese
geschwollene Sprache müssen Sie sich abgewöhnen“, antwortete Grube. „Wir werden
täglich Übungen in Alltagssprache machen. Brötchen heißt Schrippe, Flasche
heißt Pulle und Auto heißt Karre.“
Nothnagel
lächelte schüchtern. „Und was ist das für eine antiquierte Karre, wenn ich
fragen darf?“
Grube
fuhr los. „Das ist ein Opel. So was fahren normale Leute. Haben Sie einen
Führerschein?“
„Ja,
aber ich bin seit zwanzig Jahren nicht mehr gefahren.“
„Ab
jetzt fahren wir jeden Tag auf einem Verkehrsübungsplatz. Ihre Integration in
die Gesellschaft wird mindestens drei Monate dauern. Ich werde Sie dabei in
allen Aspekten unterstützen.“
Grube
wusste, dass ihm eine schwere Aufgabe bevorstand. Je länger ein Politiker dem
Alltag entwöhnt war, desto schwieriger wurde es. Sein Beruf war mit dem eines
Bewährungshelfers vergleichbar. Kommt ein Ganove nach fünfzehn Jahren aus dem
Knast, kann er ohne Unterstützung von anderen schnell überfordert sein. Zum
Glück brauchen Berufspolitiker, im Gegensatz zu ehemaligen Sträflingen, keine
neue Wohnung und keinen Arbeitsplatz.
Grube
bog von der Straße auf einen großen Parkplatz ab.
„Wo
sind wir hier?“ fragte Nothnagel.
„Das
ist ein sogenannter Supermarkt. Hier kann man Lebensmittel kaufen.“
„Davon
habe ich schon gehört.“
„Als
erstes brauchen wir einen Einkaufswagen.“
Grube
führte Nothnagel zu einer Schlange ineinandergeschobener Wagen.
„Haben
Sie einen Euro?“
„Nein“,
antwortete Nothnagel. „Ich fürchte, damit kann ich nicht dienen.“
„Ab jetzt
werden Sie immer Bargeld bei sich haben. In einer Brieftasche. Die besorgen wir
später. Heute machen wir einen Testkauf. Wir kaufen ein paar wesentliche Dinge
wie Butter und Brot. Die bringen wir anschließend zu Ihnen nach Hause.“
Der
erste Tag ist immer der härteste, dachte Grube. Sein erster Klient wäre fast an
einer Fußgängerampel überfahren worden, weil er den Unterschied von Rot und
Grün nicht gekannt hatte.
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