Wann
fing das an? Ich schätze, es war 1980. Wir hatten gerade mit dem Rauchen
angefangen. Trafen uns nachmittags hinter der Sporthalle und qualmten. Manche
pafften noch, aber der Lungenzug wurde uns in kurzer Zeit zur Gewohnheit.
Einstiegsdroge Nikotin. Alle Eltern rauchten damals. Zuhause ein paar
Zigaretten mitgehen lassen, kein Problem.
Aber
irgendwann brauchten wir mehr. Ich steigerte meinen Konsum von drei Zigaretten
pro Woche auf eine tägliche Dosis von mindestens einer Zigarette. Das
Taschengeld brauchten wir für Mad, Zack und Titanic, Süßigkeiten und Eis. Zum
Thema Droge gehört auch immer das Thema Beschaffungskriminalität, nicht nur für
die Junkies, die damals am Bahnhof Zoo rumlungerten, sondern auch für Gymnasiasten
in einem Provinznest.
Wir
machten es zu zweit. Das war der Plan. Wenn wir es nicht gebacken kriegen, kein
Problem. Abbruch und Abflug. Ein kleiner Tante-Emma-Laden. Mein Freund lenkte
die einzige Frau im Laden ab. Fachfragen zum Kleingedruckten auf einer
Kekspackung oder so. Er hat damals improvisiert, während ich vorne an der Kasse
stand. Als sie mir beide den Rücken zukehrten, habe ich mir zwei Schachteln
Kippen gegriffen und bin einfach gegangen.
Ein
paar Minuten später saßen wir auf einer Parkbank und konnten vor Aufregung kaum
sprechen. Es hatte geklappt! Wir waren nicht erwischt worden. Droge Adrenalin. Dopamin.
Kannte ich bisher nur vom Fußball, wenn ich ein Tor geschossen hatte. Ich riss
die Packung Camel auf und klopfte lässig zwei Zigaretten raus. Wir fühlten uns
wie Sieger, als das gestohlene Nervengift in unseren Körper sickerte.
Rückblende.
Kindheit. Meine Mutter und meine Großmutter waren Kriegsflüchtlinge. Hatten
damals nix. Haben das Stehlen gelernt. Und es ist nie wieder weggegangen. Meine
Mutter vertauschte die Preisschilder in Supermärkten, stopfte sich den Mund mit
Obst voll und legte die Bravo für meine Schwester in die Bildzeitung. Ich habe
mich als Kind zu Tode geschämt und bin an der Kasse tausend Tode gestorben.
Meine Mutter hatte Ruhepuls. Oma genauso.
Es
blieb natürlich nicht bei Zigaretten. Ich brauchte nicht nur regelmäßig
Nikotin, sondern auch Lesestoff. Bücher. Bald war ich in der großen Pause
regelmäßiger Gast in einer Buchhandlung in der Nähe unserer Schule. Schon das
Verlassen des Schulhofs war ein Bruch der Regeln, aber wenn du regelmäßig
erfolgreich die Regeln brichst, bekommst du eine Hornhaut. Die Buchhandlung war
aufgebaut wie eine Bibliothek. Reihen von Regalen bis zur Decke, die vom Kassenbereich
nicht eingesehen werden konnten. Dort steckte ich die Beute in die großen
Innentaschen meiner Jeansjacke. Bis Ende vierzig habe ich solche
Kleptomanenjeansjacken getragen, obwohl ich da schon längst nicht mehr geklaut
habe.
Da war
ich schon fünfzehn oder sechzehn. Mein Freund hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits
aus der Branche verabschiedet. War beim T-Shirt-Klauen in einem Kaufhaus
erwischt und von der Polizei nach Hause gebracht worden. Analoger Shitstorm mit
Gebrülle, Taschengeldentzug und Ohrfeigen. Bei mir ging es in die andere
Richtung. Ich wurde mutiger. Klaute am Zeitschriftenständer der Buchhandlung,
also quasi direkt neben der Buchhändlerin, regelmäßig den Playboy. Dazu
Penthouse und Lui. Ich wurde der King in meinem Freundeskreis. Bilder von
nackten Frauen waren damals wertvoller als pures Gold. Durfte man erst ab 18
kaufen.
Der
Höhepunkt war der Plattenladen in Bahnhofsnähe. Ein winziges Geschäft,
vielleicht dreißig Quadratmeter Fläche und vollgestopft mit LPs und Singles.
Oft war ich allein mit dem Verkäufer im Laden. Rücken zum Verkäufer, Platte in
die Jeansjacke geschoben, Knöpfe zu und im Rausgehen noch freundlich Tschüss
sagen. Teilweise habe ich meine Beute auf dem Schulhof verkauft. Sie haben
Interesse an großen Titten und Rock’n Roll? Wenden Sie sich vertrauensvoll an
die Firma Eberling.
Wann
hörte das auf? Vermutlich nach dem Abitur, als ich erkannte, dass man mit Dope
viel leichter an Geld kommen konnte als mit gelegentlichem Kleinganoventum in
den Läden meiner Heimatstadt.
P.S.:
Ich habe mal einen Tag für Woolworth gearbeitet und sollte die Kunden zählen.
Ich habe dort nie etwas geklaut, weil es unter meiner Würde gewesen wäre.
Außerdem sind die großen Läden immer gut überwacht. Ich sitze also mit meiner
Strichliste an einer Kaffeebar im Kassenbereich, als der Typ hinter der Theke
(„Barista“ sagte man damals noch nicht) mit einem Plastikbecher Kakao zu mir
kommt und ihn vor mir abstellt. „Von dem Mann da drüben“, sagt er und geht. Ich
sehe zu dem Mann rüber und er nickt mir zu. Wie im Western. Saloon-Szene. Ich
nehme also meinen Becher und gehe lässig zu ihm hinüber. Er stellt sich als
Ladendetektiv vor. Er fragt, ob ich nicht Lust hätte, als sein Assistent zu
arbeiten. Aushilfsweise, wenn im Kaufhaus viel los ist. Er prahlt damit, wie
viel man in dem Job verdienen kann. Er weiß nicht, wer ich wirklich bin. Mit
meinem Fachwissen als Ladendieb wäre ich der perfekte Jäger gewesen. Aber die
Seiten wechseln? Teil des Systems werden? Ging einfach nicht.
Sehr schön.
AntwortenLöschenUnd solchen Leuten wollen die Regierenden eine Kampagne verkaufen?
Geht einfach nicht.