Bonettis
Gesicht wirkt im pfirsichfarbenen Licht des Sonnenuntergangs wie das Cover
eines Heldenromans. Er steht auf der Dachterrasse des Weinguts und blickt durch
sein Fernglas auf das Feuerwehrhaus auf der anderen Seite des Dorfes. Dort
stehen zwei Männer in dunkelblauen Steppanoraks und halten Wache. Das
Hauptquartier vom Knorpelschorsch wirkt friedlich.
„Schick
die Kirsche“, sagt er nur und der treue Bonettista neben ihm ruft in den Hof
hinunter: „Schickt die Kirsche!“
Die
Kirsche heißt mit bürgerlichem Namen Herbert Sänger und ist seines Zeichens der
amtlich geprüfte Dorftrottel von Wichtelbach. Er hat eine dicke kirschrote
Säufernase und kirschrote Wangen, die mit einem Labyrinth geplatzter Äderchen
in Lila und Dunkelblau geschmückt sind. Er trägt ein blau-weiß geringeltes
Shirt, kurze knallgelbe Hosen und einen Propellerhut. Jeder kennt ihn. Jetzt
macht er sich mit der Botschaft auf dem Weg zum Warlord, der im Feuerwehrhaus
residiert.
Mit
seinem Hüpfstock erreicht er nach einigen Minuten die Barrikade auf der
Hauptkreuzung. Hier steht Helmut Vogelbunt Wache. Sein fleischiges Gesicht
erinnert an Armin Laschet. An diesem Ort findet einmal am Tag die Übergabe von
Waren und Nachrichten statt. Von Bonettis Seite kann man durch den Wald den
Rewe im Nachbarort erreichen. Der Knorpelschorsch schickt seine Leute durch die
Weinberge in ein anderes Dorf, wo es einen Aldi gibt. Man kann an der Barrikade
zum Beispiel zwei Gläser Nutoka gegen ein Glas Nutella tauschen.
Die
Kirsche grinst und wedelt mit Bonettis Botschaft vor Helmuts Nase. Der Wächter
wirft einen kurzen Blick auf den Umschlag und lässt den Boten durch.
Der
Knorpelschorsch, der sich selbst George McGristle nennt, was übersetzt nichts
anders als Knorpelschorsch heißt, liest Bonettis Angebot. Der Warlord soll
einen Junkie mit Spritzbesteck auf die andere Seite schicken und zwanzig von
Bonettis Leuten impfen. Im Gegenzug dürfe der Junkie Impfstoff für zwanzig
Menschen auf dem Rückweg mitnehmen. Bonetti hat natürlich nichts von seinem
Geschäft mit den seelenlosen Freidemokraten geschrieben, die den rettenden
Impfstoff erst erhalten, wenn alle Dorfbewohner geimpft sind.
Der
Knorpelschorsch überlegt eine Weile und lässt sich dann einen Kugelschreiber
und ein Blatt Papier bringen.
Die
Kirsche ist zurück. Bonetti gibt ihm eine Flasche Riesling, die er sofort an
den Hals setzt und in langen Zügen bis zur Hälfte austrinkt.
Bonetti
liest die Botschaft. Der Knorpelschorsch wird den Dancer schicken, einen alten
Mann mit einem betongrauen Zopf. Dreißig Jahre harte Drogen. Vernarbte Venen,
die wie Rebstöcke im Winter aussehen. Am nächsten Morgen um zehn Uhr würde man
sich an einem neutralen Ort treffen, den alle in Wichtelbach nur Baikonur nennen.
Unter
den Trümmern des zerstörten Windrads am Dorfrand liegen die Überreste einer
Tafel mit der Aufschrift „Baikonur des Westens“. Hier will Bonetti Media der
Firma SpaceX von Elon Musk Konkurrenz machen. Immerhin ist schon das Fundament
der Abschussrampe betoniert worden und ein ramponierter Bauwagen steht in der
Ecke der Wiese. Hier würde das Impfzentrum Wichtelbach seine Arbeit aufnehmen.
Fortsetzung folgt
Kann man nicht direkt deutsches Nutella impfen?
AntwortenLöschen