Sonntag, 7. Januar 2018

Die Zukunft wird schön

Es ist sieben Uhr morgens, als Rüdiger Schmorkohl von Pablo geweckt wird. Pablo ist sein personalisierter Assistent (PA). Ich hätte den Namen gerne mit zwei großen Anfangsbuchstaben geschrieben, aber das verhindert leider die Autokorrektur. Man kann seinen PA auch mit einer Frauenstimme sprechen lassen, dann wird er Paola genannt. Ist aber auch egal.
Rüdiger kann seinen PA nicht sehen, obwohl er überall ist. In einem dünnen Armband, einem Chip in seinem Ohrläppchen, in den Lautsprechern, Fenstern, Türen und allen Haushaltsgeräten.
Rüdiger erhebt sich mit einem Stöhnen aus seinem Bett und bleibt eine Weile wie betäubt auf dem Bettrand sitzen. Der Raum ist ganz in schwarz und weiß gehalten, so als ob er von Mondlicht beschienen wäre. Er ist so trostlos wie ein leerer Bierkasten im November.
„Warum hast du mich so früh geweckt, du blöder Wichser?“
„Ich heiße Paolo“, antwortet der PA sanft. „Es ist jetzt fünf nach sieben. Du musst zur Arbeit. Ich koche dir gerade einen Kaffee.“

„Leck mich“, sagt Rüdiger und geht ins Bad. Erst mal einen Chinesen abseilen.
Sein rotes Gesicht glänzt wie ein frisch polierter Boskop-Apfel, als er nach zehn Minuten in den Flur tritt.

„Dein Blutdruck ist sehr hoch“, merkt Paolo an. „Ich empfehle dir eine Tablette.“
Rüdiger schlurft in die Küche und öffnet den Kühlschrank. Er schaut eine Weile hinein und entscheidet sich für die angebrochene Flasche Weißwein. Er schüttet den Inhalt in ein großes Glas und gießt Cola dazu.
„Alkohol zum Frühstück ist sehr ungesund“, sagt Pablo. „Das ist schon der achte Strike in diesem Monat. Bei zehn Strikes muss ich dich der Krankenkasse melden. Dann wirst du zu einem Gespräch gebeten oder deine Beiträge steigen.“
„Wenn du nicht das Maul hälst, hole ich mein Hackebeil.“
Paolo reagiert nicht. Er weiß, dass Rüdiger nicht das gesamte System lahmlegen wird. Aber er hat immerhin die Kameraaugen abgeklebt und das Kühlschrankschloss geknackt, so dass ihm sein PA keine Vorschriften mehr machen kann. Außerdem stehen der Rotwein und der Whisky auf dem Küchenboden, auf den Pablo keinen Zugriff hat. Es hat ihn einige schlaflose Tage gekostet, um die Wohnung nach seinem Einzug halbwegs lebenswert zu machen.

„Du musst in zehn Minuten das Haus verlassen und bist noch nicht angezogen. Die Tür des Kleiderschranks wurde noch nicht bewegt und die Sensoren an deiner Kleidung melden mir, dass du noch deinen Schlafanzug trägst.“

„Ich gehe heute nicht zur Arbeit“, knurrt Rüdiger. Er hat den Plan, sich seine Virtual Reality-Kontaktlinsen einzusetzen und wieder mit seinem Ferrari durch die irre Stadt auf einem fernen Planeten zu brettern. Er mag „GTA Space“, es ist sein Lieblingsspiel. Seit es nur noch autonom fahrende Autos gibt, fährt er mit dem Bus oder der Bahn.

Er arbeitet im Data Mining der irischen Rechtsanwaltskanzlei Flanagan, Shanahan & Callaghan in der Innenstadt. Mit dem Colaschoppen in der Hand steht er am Küchenfenster. Es ist Montagmorgen. Die Menschen gehen mit ausdruckslosen Gesichtern die U-Bahntreppen hinunter wie die Eloi in die Höhlen der Morlocks.

Ich habe es deinem Arbeitgeber gemeldet“, sagt Pablo.

Auf dem Monitor erscheint das Gesicht von Mister Flanagan. Er hat den blasierten Gesichtsausdruck eines preußischen Gardeoffiziers, sein lippenloser Mund ist so verkniffen wie ein Arschloch und seine Tränensäcke haben mehr Falten als ein Hodensack.

„Schmorkohl“, plärrt es aus dem Lautsprecher. Flanagan hätte längst eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „Brüllender Boss“ verdient. Der üppige, angeschwollen wirkende Leib seines Angestellten, dahingelagert auf dem Küchenstuhl. Der Bademantel steht weit offen. Ein Anblick von zeitloser Schönheit.

„Bewegen Sie Ihren Arsch ins Büro! Ihr PA meldet, Sie wären gesund. Wenn sie noch mal unentschuldigt fehlen, melde ich Sie der Hall of Shame. Die wird Ihnen erstmal das Geld streichen und Ihnen dann einen so miesen Job zuteilen, dass Ihnen unsere Kanzlei wie das Paradies erscheinen wird. Sie sind in einer halben Stunde hier, verstanden?!“

Die Zukunft wird schön.

Interpol - All The Rage Back Home. https://www.youtube.com/watch?v=-u6DvRyyKGU

1 Kommentar:

  1. „Ich empfehle dir eine Tablette."
    (Zitat Paolo)

    „Wenn du nicht das Maul hälst, hole ich mein Hackebeil.“
    (Zitat Rüdiger Schmorkohl)

    „Bewegen Sie Ihren Arsch ..."
    (Mister Flanagan)

    Doch besser ists, Ihr fallt in Gottes Hand,
    Als in der Menschen!

    (ZITAT zur heutigen Orthodoxen Weihnacht von Schiller)

    *OMmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm*

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