„Sie gebären rittlings über dem Grabe, der Tag erglänzt einen Augenblick, und dann von neuem die Nacht.“ (Samuel Beckett: Warten auf Godot)
Wenn man Fisch in einer Pfanne brät, riecht es nach Fisch. In der Küche, im Esszimmer und wenn Sie nicht aufpassen, riecht es in der ganzen Wohnung nach Fisch. Wenn Sie Fisch dünsten oder kochen oder im Ofen zubereiten, ist es dasselbe. Genauer gesagt riecht es nicht nach Fisch, es stinkt. Es ist ein Gestank der sich überall in der ganzen Wohnung festsetzt, in den Kleidern, in den Haaren. Irgendwann stinkt man nach Fisch und selbst wenn man unter der Dusche steht, stinkt es nach Fisch und es hört nicht auf. Vor allem, wenn man den ganzen Tag nichts anderes gemacht hat, als in der eigenen Wohnung Fisch zu verarbeiten. Lachs, Kabeljau, Thunfisch, Forelle. Alle Arten von Fisch. Gerne auch Innereien wie Dorschleber.
Wie konnte ich soweit sinken? Ich stank so unglaublich übel nach Fisch, dass mich die Menschen in der U-Bahn böse ansahen. Manche standen auf und gingen weg von mir. Studenten hoben erschrocken den Blick von ihren Smartphones, weil mein Gestank sie aus der digitalen Trance geholt hatte. Aber ich brauchte das Geld. Ich hatte Schulden und jetzt musste ich von morgens bis abends für Alois Ranzinger Fisch zubereiten. Dazu Geflügel aller Art: Huhn, Pute, Truthahn, Gans, Ente. Ich füllte das ganze Zeug in kleine Portionsdosen und klebte Etiketten auf den Deckel: „Gourmet-Menü Ente“, „Gourmet-Menü Thunfisch“ usw. Es gab sogar Tofu-Menüs, was ich gar nicht so übel fand, denn das Zeug stank wenigstens nicht.
Jeden Morgen schleppte ich die Dosen kartonweise in den Laden von Alois Ranzinger, einem ehemaligen DJ mit Bierbauch und eisengrauem Pferdeschwanz. Dieser verlogene Vertreter des pseudo-ökologischen Bionade-Biedermeier aus Ingolstadt führte auf der Schönhauser Allee einen gutgehenden Laden mit dem Namen „Catcontent“. Hier konnten sich die Besserverdienenden unter den Hipstern, die homöopathisch oder esoterisch angehauchten Rechtsanwälte und Zahnarztgattinnen exklusive Menüs für ihre Katzen kaufen. Garantiert aus ökologischer Zucht, mit Gemüse aus der Region, nachhaltig, Bio und Fairtrade und überhaupt alles ganz wunderbar. Für 4,99 Euro pro Portion. Ranzinger verdiente, ich verdiente und bis auf den Gestank in meiner Wohnung und in meinem Leben war alles gut.
Bis ich auf die Idee kam, noch ein bisschen mehr Fisch und Geflügel in kleine Tupperdosen zu füllen. Warum nicht einen Lieferservice für Haustiere organisieren? Dachte ich. Es war doch ohnehin schon alles egal. Und so habe ich von 18 bis 23 Uhr auch noch die Abende mit Katzenfutter verbracht. „Catweazle“ nannte ich meinen Lieferdienst. Schließlich sahen mich die Leute auf der Straße auch genauso an wie meinen Namenspatron.
„Gott sei Dank, dass Sie endlich da sind“, sagte die Frau mit den kurzen roten Haaren und den viel zu engen Jeans. „Sissi ist schon ganz hungrig.“
Sissi war ein etwa dreißig Pfund schweres Monstrum mit hellbraun und weiß geschecktem Fell. Ihre Halterin war angeblich Künstlerin, aber vermutlich lebte sie von den Unterhaltszahlungen irgendeines Trottels oder einer Erbschaft, denn im Internet tauchte ihr Name nirgends auf und dieser luxussanierte Altbau in der Kopenhagener Straße sah ziemlich teuer aus.
„Sissi ist schon fünfzehn Jahre alt. Sie ist sehr wählerisch, müssen Sie wissen. Aber dieser schonend gegarte Delikatess-Thunfisch, den Sie im Angebot haben, hat sie überzeugt. Gell, Sissi?“
Sissi antwortete nicht, wie immer. Ich bekam mein Geld und fuhr weiter zur Katzenlady in der Kastanienallee. Eine pensionierte Lehrerin, „Oberstudienrätin“, wie sie immer betonte, die mit sieben Katzen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebte. Meine beste Kundin.
Dann das schwule Pärchen in der Danziger Straße, das versuchte, seinen Kater vegan zu ernähren. Ich mischte dem armen Tier immer Thunfisch unter den Tofu- und Gemüsebrei, weil ich Mitleid hatte. Im Prenzlauer Berg haben die Menschen entweder jede Menge Kinder oder Katzen. Ein Leben als Single, als Einzelgänger, kurz ein Leben in Würde, wie ich es führte, war offenbar in diesem Teil Berlins nicht möglich. Okay, mehr oder weniger in Würde.
Schließlich gab es auch noch jede Menge reinkarnierte Buddhisten, die mir vom früheren Leben ihrer Siamkatzen erzählten. Genervte Büroangestellte, die mit dem Handy am Ohr die Tür öffneten, mich hektisch hereinwinkten und mit dem Zeigefinger auf einen Geldschein deuteten, der auf einer Kommode lag. Die Klugscheißer, denen ich Quittungen und ordentliche Rechnungen ausstellen musste, weil sie tatsächlich glaubten, mein Katzenfutter unter der Rubrik Bewirtungskosten von der Steuer absetzen zu können. Mir aber gleichzeitig misstrauische Fragen stellten, ob ich mein Gewerbe auch ordnungsgemäß besteuere. Und dann gab es diese abgefuckten Typen, denen ich nie abgenommen habe, eine Katze zu besitzen. Die haben das Zeug entweder selbst gegessen oder einen altersschwachen Pflegefall im Hinterzimmer damit gefüttert. Was ja auch irgendwie ein Kompliment für meine Kochkünste war.
Es war die Hölle. Ich muss raus aus diesem Job, ich muss raus aus dem Prenzlauer Berg, dachte ich. Ich stinke nach Fisch. Ich habe seit zwei Jahren keine Frau mehr gevögelt. Sobald ich meine Schulden los bin, haue ich ab. Aber immer wenn ich dachte, in ein paar Monaten ist es soweit, erhöhte mir der Hausbesitzer, eine Immobilienfirma aus London, wieder die Miete oder die Lachspreise stiegen.
Das Ende kam, als ich begann, meine Kosten zu senken. Ich füllte einfach billiges Katzenfutter aus dem Supermarkt in die Tupperdosen. Irgendwann kam mir der alte Ranzinger auf die Schliche, weil sich die Kunden beschwert hatten. Sissi begann zu streiken und dann habe ich eines Morgens einfach diese gottverdammte Scheißstadt verlassen.
Beth Hart - Broken and Ugly. https://www.youtube.com/watch?v=OevFJPG_5xk
„Wenn die Katze den Fisch nicht kriegt, sagt sie, der Fisch stinkt.“
AntwortenLöschen―Sprichwort
DU kannst nicht entkommen, denn in anderen Städten gibt es auch -> Fische & Katzen (ړײ) *tja*
Schade. Wenn du wieder anfängst, könntest du dann auch nach Pankow liefern?
AntwortenLöschenNa klar. Werde bei dir mal ein paar Proben mitbringen ;o)
LöschenAber nicht doch, Sissis Frauchen (schon bei dem Katzennamen habe ich ein bestimmtes Bild vom Frauchen vor mir) hat bestimmt irgendein zuckersüsses von ihr als ach so kreatives und total emanzipiert-weibliches Pseudonym und unterhält 1.000 Kanäle, aber das kann natürlich den Protagonist nicht wissen.
AntwortenLöschenWieso Prenzlauer Berg warum nicht die Ecke am Römerkreis in Heidelberg oder Köln-Kalk oder Essen-Stadtwald oder was weiß ich?!
Weil ich den PB kenne und die von dir genannten Orte nicht. Sind die genauso schlimm?
LöschenZu Essen-Stadtwald als Ort kann ich nichts sagen, war ich noch nie. Wenn die Bevölkerung aber repräsentativ ist: Ich kenne durch Ausstellungszeug etc. ein paar entlaufende "Künstlerinnen". Alle die Marke Mich kennt jeder, ich bin so toll (und bei allen mir untergekommenen Exemplaren - wird andere geben - ist das der Inbegriff der Emanzipation, denn ohne Kerl sind die gar gar nichts, da kannst du dir ja vorstellen wie viel man mit denen reden kann). Mich nerven die so, dass ich einen kostenfreien relativ großen und barrierefreien Ausstellungsraum in so einen ach so alternativen Künstlerdings hier im Großraum abgelehnt habe. Schon die Vorgespräche waren katastrophal.
LöschenDie Ecke am Römerkreis in HD wird von meinen Ex-Kommilitonen scherzhaft "Klein-Prenzle" genannt, wird also so sein. Sojafraß, Bogaboos, Zuckerkügelchen etc. Köln-Kalk nennt sich wohl "alternativ" und "hipster" (echt jetzt?), was das im Klartext heißt (gibt da ein Wort mit G am Anfang) ist klar, oder?
In Kalk bin ich früher manchmal gern spazieren gegangen, war 2010 zeitweise Pendler zwischen D'dorf und Köln.