Montag, 20. Juli 2015

Theaterdonner

“Greece owes Europe some money. Europe owes Greece Western civilization. Call it even?” (God ‏@TheTweetOfGod)
Wir haben uns an der griechischen Tragödie sattgesehen, wir sind müde. Wir möchten das Theater verlassen, wir wollen aus dem dunklen Kinosaal hinaus ans Tageslicht. Die unerträgliche Berichterstattung in den Medien hat nur auf Emotionen gesetzt, nach Wochen des Dauerfeuers sind wir emotional ausgepumpt. Immer die gleichen Bilder: Menschen vor Geldautomaten. Darauf reduziert sich unser Bild von Griechenland. Und die Politik bedient sich der gleichen Methoden. Ihre Sprechblasen sind mit den Begriffen „Rettung“ und „humanitäre Hilfe“ gefüllt, die „europäische Solidarität“ wird beschworen, während es doch in Wahrheit nur um ein milliardenschweres Kreditgeschäft geht, an dem viele prächtig verdienen werden – nur die Menschen vor den Geldautomaten in Athen oder Thessaloniki sicher nicht.
Was ist das Bild, was ist das Narrativ, das wir am Ende dieser aufwühlenden Inszenierung der Politik und der Medien im Gedächtnis behalten werden? Es ist die Szene, in der ein großherziger deutscher Kaufmann dem armen griechischen Rentner am Ende doch noch einen Hunderter zusteckt, obwohl es dieser freche und faule Schlawiner eigentlich nicht verdient hat. Beim Verlassen des Theaters werden wir Tränen der Rührung in den Augen haben. Wir werden ergriffen sein von der Größe unseres eigenen Charakters, von unserer Barmherzigkeit, unserem Mitleid, unserer Gutmütigkeit und unserer geradezu sprichwörtlichen Großzügigkeit, mit der wir die Früchte unseres deutschen Fleißes unter die Bedürftigen dieser Welt verteilen.
Jetzt, nach dem schönen, aber auch ein wenig langen Theaterabend, interessieren uns die lästigen Details der „Rettung“ nicht mehr. Der arme Rentner, den wir wochenlang jeden Abend vor dem Geldautomaten gesehen haben, zahlt mit einer Rentenkürzung für den Kredit an die Banken und die Regierung? Das wollen wir nicht hören. „Undankbares Volk!“, werden wir rufen. Noch nicht einmal Danke können diese Griechen sagen.
Wir sollten uns wie Odysseus an einen Mast binden und die Ohren mit Wachs verschließen lassen, um den Sirenenklängen der Journalisten und Politiker zu widerstehen. Vergessen wir einfach, was Politiker in ihren Volksreden erklären und was ahnungslose Journalisten ihnen nachplappern. Auch wenn Schäuble als „Dr. Strangelove“, Merkel als „die kindliche Kaiserin“ und Varoufakis als „Bruce Willis“ hervorragende schauspielerische Leistungen geboten haben. Um was geht es wirklich? Um Macht und Geld. Schließlich sind wir nicht wirklich in einer Theaterinszenierung, sondern in der realen Politik – auch wenn sie uns als Theaterstück aufgeführt wird. Und die Frage lautet in der Politik – wie in der Wirtschaft - immer: Wer profitiert?
Die entscheidenden Informationen, die eigentliche Motivation der beteiligten Akteure werden uns vorenthalten. Erstens haben alle westlichen Staaten erhebliche Schulden. Da geht es um einen zweistelligen Billionenbetrag, dagegen sind die Milliardenschulden Griechenlands die sprichwörtlichen Peanuts. Auf diese Schulden werden aktuell praktisch keine Zinsen gezahlt. Deutschland hat nur deswegen einen ausgeglichenen Staatshaushalt, weil keine Zinszahlungen fällig sind. Würden wir Zinsen wie vor zehn Jahren zahlen, wären auf die zwei Billionen Euro Schulden hundert Milliarden Zinsen fällig – pro Jahr. Darum gibt man Griechenland lieber ein paar Milliarden Euro an neuen Krediten. Es ist schlicht günstiger. Denn steigende Zinsen wären Gift für den völlig überschuldeten Kapitalismus der westlichen Welt.
Es kommt noch ein zweiter Punkt hinzu: In angeblich sicheren Staatsanleihen der USA, der EU-Staaten usw. ist ein erheblicher Teil des Geldvermögens der ganzen Welt gespeichert. Und das zu den angesprochenen lausigen Konditionen – es gibt nach Abzug der Inflation keine Rendite auf diese Staatsanleihen. Ihr Trumpf ist einzig die Sicherheit als Aufbewahrungsort von Vermögen. Was ist, wenn diese Sicherheit, die bekanntlich eine rein psychologische Angelegenheit ist, als Argument wegfällt? Wenn Griechenland Bankrott gehen würde (was nach den Regeln der Marktwirtschaft längst hätte geschehen müssen), wenn die griechischen Staatsanleihen ausfallen, wenn die Lage in anderen Ländern wie Spanien oder Portugal als ähnlich bedrohlich angesehen wird, wenn über einen Dominoeffekt spekuliert wird – was passiert dann? Wenn das Vertrauen in den Westen und sein Geldsystem gestört wird, wenn es zu einer Flucht aus diesen Staatsanleihen kommen sollte, wenn es zu einer Art Mega-Bank Run kommen würde, dann bricht die Wirtschaft Amerikas und Europas, dann bricht der gesamte Kapitalismus wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Eine Weltwirtschaftskrise wäre die Folge, gegen die der Lehman-Crash 2008 nur ein laues Lüftchen gewesen ist.
Die Welt braucht die westlichen Staatsanleihen – übrigens ebenso wie einen stabilen Dollar und einen stabilen Euro als Weltwährung -, und daher braucht sie auch die Illusion ewig währender Sicherheit. Alle Akteure dieser Inszenierung wissen das. Also muss die alberne und bizarre Farce – Griechenland als solider Bestandteil der westlichen Welt – aufrechterhalten werden. Die neue griechische Regierung, die nach der Abwahl der alten Garde im Augenblick den Harlekin und den Hofnarren spielt, der die alten Zausel in Berlin, Brüssel und Washington ein bisschen ärgert, wird sich in ihre eigentliche Rolle fügen. Denn es ist und bleibt für alle Beteiligten ein gutes Geschäft. Sonst würden sie es ja nicht machen. Es geht also nicht um „humanitäre Hilfe“ oder „europäische Solidarität“, sondern um vitale Kapitalinteressen der gesamten westlichen Welt. Habgier ist und bleibt der Wesenskern unserer Gesellschaftsordnung. Deswegen kann man sich das ganze Medientheater auch komplett sparen. Alles nur Show. Regie: Obama, Merkel u.a.. Die Strategie heißt daher auch weiterhin (wie ich schon Anfang des Jahres schrieb): Kicking the can down the road.
http://kiezschreiber.blogspot.de/2015/02/die-akropolis-von-berlin.html
Die gescheiterte Austeritätspolitik, mit der Deutschland und andere so prächtig verdienen, wird fortgesetzt – zugekleistert mit dem Pathos einer angeblichen „Rettung“. Und nebenbei bekommen alle Zuschauer dieser schäbigen Inszenierung vorgeführt, wie eine Welt ohne Geld und ohne Banken aussehen würde: das blanke Chaos. Es gibt keinen Kapitalismus ohne Kapital. Die spanische Protestbewegung Podemos hat während der Aufführung des Griechenland-Dramas ein Drittel ihrer Wähler eingebüßt. Wer profitiert also? Wer zahlt die Zeche? Jeder kann sich diese Fragen selbst beantworten. Keiner von uns kann dem kapitalistischen System entkommen. Wir sind alle Passagiere eines Hochgeschwindigkeitszugs, für den keine Haltepunkte und Ausstiegsmöglichkeiten vorgesehen sind.
Inzwischen gibt es keine „richtige“ Lösung mehr für Griechenland. Der Fall erinnert an einen Junkie, der völlig von seinem Dealer abhängig ist. Der Dealer ist die Troika (EU, EZB, IWF) und die Drogen sind Kredite und Importe (Griechenland stellt weder eigene Medikamente, Autos, usw. her). Macht man weiter wie bisher, stürzt man den Abhängigen immer tiefer ins Elend, er wird von Monat zu Monat kranker. Setzt man ihn auf kalten Entzug (Grexit), geht er durch die Hölle. So oder so – der Junkie wird garantiert in der Gosse landen: Entweder er begibt sich mit seinem ganzen Besitz endgültig in die Hände des Dealers (Privatisierung der Häfen usw.), bei dem er bereits riesige Schulden hat, oder er beendet das Abhängigkeitsverhältnis und verhungert, weil er die Importe nicht mehr bezahlen kann (da die Drachme, die im Falle eines Grexits eingeführt wird, stark abwerten wird, so dass man das Geld für Medikamente, Autos usw. nicht mehr aufbringen kann).
Verpassen Sie also nicht „Die Hard 4“ (deutscher Verleihtitel „Das vierte Hilfspaket“)! Demnächst in einem Theater oder einem Lichtspielhaus ganz in Ihrer Nähe. Der Steuerzahler hat Eintritt für dieses ergreifende Trauerspiel bezahlt und so wird dieses Stück sicher noch häufiger zur Aufführung kommen.
P.S.: Es gibt immer jemanden, der sagt, dass die Musik nach 22 Uhr leiser gemacht werden muss. Und den Verzweifelten raunt er zu: „Schreien Sie bitte etwas leiser, meine Kinder schlafen schon“. Schließlich gibt es Regeln. Gut, dass es uns Deutsche gibt.
The Clash – Lost in the Supermarket. https://www.youtube.com/watch?v=qsrEAWcAvRg

1 Kommentar: