Montag, 5. Januar 2015

Pompeji 3000

„Das Ruinenfeld liegt jetzt direkt unter uns, Interrogator Olsen.“
„Landen Sie den Gleiter, Navigator Asmara“, antwortete der Forschungsreisende, ohne die Augen zu öffnen. Er betrachtete gerade ein abstraktes Bild, dessen Farben langsam ineinander flossen, während er sich zur Musik der Laozi Lovers entspannte.
Der Gleiter landete im hohen Gras einer Wiese im Zentrum des Ruinenfelds. Wenn man den Außensensoren trauen konnte, war das Gebiet nicht kontaminiert. Olsen öffnete mit einem kurzen Nicken die Tür, die geräuschlos zur Seite glitt. Er sah sich in Ruhe um und betrat die Wiese.
Niemand war zu sehen. Die Sonne schien ihm ins Gesicht und einige Singvögel zwitscherten in den Bäumen. Der Interrogator berührte mit dem linken Zeigefinger ein schmales Armband, das er am rechten Handgelenk trug. „Sind Sie sicher, dass wir im Zentrum des Ruinenfelds sind, Navigator?“
„Ja“, antwortete die vertraute Stimme der Pilotin in seinem Kopf. „Gehen Sie bitte nach rechts durch die Bäume, dann müssten Sie das Tor sehen.“
„Danke“, sagte Olsen und ging auf eine Gruppe von Eichen und Linden zu.
Wenig später sah er die Überreste des Tors. Zerborstene Säulen lagen im Gras, dazwischen große Gesteinsbrocken. Eine Reihe von Säulenstümpfen bildete den Eingang zu einer breiten Straße.
Er durchquerte das Tor und betrat den Boulevard. Die Fassaden der Häuser, deren obere Ränder unregelmäßig gezackt waren, hatten leere Fenster, durch die er den blauen Himmel sehen konnte. Kein Leben, nur Trümmer und Schutt.
„Was wissen wir über diese Stadt?“
„Wir haben in diesem Ruinenfeld keine intakten Datenspeicher gefunden. Die Geräte zur Informationsspeicherung sind schon seit Jahrhunderten unbrauchbar“, referierte Asmara mit ihrer angenehmen ruhigen Stimme. „Weder analoge noch digitale Medien, wir haben nur die Aufzeichnungen der historischen Kommission von 2525.“
Olsen entdeckte eine Katze in einer Seitenstraße. Aber sie lief sofort davon, als sie ihn sah. „Und was hat die Kommission herausgefunden?“
„Der Ort muss einmal als Hauptstadt einer politischen und ökonomischen Einheit gedient haben. Sie wurde im 21. Jahrhundert aufgegeben. Über die Gründe ist nichts bekannt.“
„Was wissen wir über die Bewohner?“
„Sie haben keinerlei verwertbare Aufzeichnungen hinterlassen. In der Nähe des Ruinenfelds befinden sich allerdings beträchtliche Mengen an toxischem Material und synthetischen Polymeren, deren Sinn sich uns aber bisher nicht erschlossen hat.“
„Gibt es irgendetwas in diesem Ruinenfeld, dass wir uns näher anschauen sollten, bevor wir zurück zur Basis fliegen?“ Olsen begann sich jetzt schon zu langweilen und schaltete wieder die Musik in seinem Kopf ein. Allerdings so leise, dass er Asmara noch hören konnte.
„Am südlichen Rand des Ruinenfelds liegt ein Flughafen, an dem die Bewohner bis zum Ende ihrer Zivilisation offenbar fieberhaft gebaut haben. Interessant ist auch der Schlossbau, auf den Sie sich gerade zubewegen. Auch an diesem Gebäudekomplex wurde bis zum Ende gearbeitet.“
„Warum? Ist der Bau in architektonischer oder kunsthistorischer Hinsicht interessant?“ Olsen hatte einmal eine wissenschaftliche Aufzeichnung gesehen, in der eine Ruine vorgestellt wurde, auf deren Außenwand noch die blassen Reste phantasievoller Bemalungen zu erkennen waren. Aber hier im Zentrum war bisher nichts davon zu sehen gewesen.
„Nein. Aber nach den Aufzeichnungen der Kommission handelt es sich um die Hauptstadt einer Republik. Der Bau eines feudalen Schlosses ergibt also überhaupt keinen Sinn.“
Olsen konnte deutlich Asmaras Lächeln aus ihren letzten Worten heraushören. Er drehte sich um und ging zurück zum Raumgleiter. „Wir schauen uns noch die Ruine des Flughafens an, der nie fertiggestellt wurde. Vielleicht wollten die Bewohner von dort aus der Stadt fliehen“.
„Wie Sie wünschen, Interrogator Olsen.“
Sie ist noch so jung, dachte Olsen. Sie interessiert sich nicht für Geschichte.
Asmara war erst einhundert Jahre alt. Für eine Maschine ist das kein Alter. Olsen selbst war über dreihundert Jahre alt.
Er steckte sich ein winziges Kügelchen in den Mund. Es war, als ob der Schokoladengeschmack der kalorienfreien Köstlichkeit in seinem Mund explodieren würde.
Kraftwerk - Trans Europa Express. https://www.youtube.com/watch?v=XMVokT5e0zs

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