Seit ein Schulfreund mit seiner
Freundin nach dem Abitur nach St. Pauli gezogen ist, fahre ich jedes Mal
mindestens einmal nach Hamburg. Er spielte für den FC St. Pauli Wasserball
gespielt. Ich dachte immer, die Fußballer würden am meisten saufen. Aber wir
waren Waisenknaben gegen die Jungs, die wir auf den Partys der Wasserballer
trafen.
In den Neunzigern wurde es noch
besser. Ich lernte über ein Internetforum, das damals legendäre Wallstreet-Sofa,
ein paar Leute kennen, die noch schräger drauf waren. Ihr König war ein
Münchner, den es von Schwabing nach Kreuzberg und von da nach St. Pauli
verschlagen hatte.
Von Montag und Freitag arbeitete
er als Investmentbanker in Zürich, am Wochenende machte er Party. Ein Hüne mit
einem dröhnenden Lachen, der so viel Koks weghauen konnte wie zehn Kolumbianer.
Der Mann war nicht nur schwul, er war homosexuell.
Seine Geburtstagsfeiern waren der
Höhepunkt des Partyjahrs. Ich habe keine Ahnung, wie viel Geld ihn diese Feiern
gekostet haben. Mal hatte er ein Dominastudio gemietet, mal eine ganze
Kiezkneipe. Wir zogen die Reeperbahn rauf und runter. Damals lernte ich die
bekanntesten Drag Queens von Hamburg kennen. Gutgebaute Jungs mit nacktem
Oberkörper brachten die Drinks an die Tische, auf denen ein Haufen koks zur
Selbstbedienung lag.
In Berlin hatte er denselben
Dealer wie Blixa Bargeld, hat er mir einmal stolz erzählt. Es ging Freitagnacht
los und ging bis Sonntagvormittag. Da ging selbst ihm die Kondition aus.
Irgendwelche Szene-Bands sorgten für Musik. Einmal stieg ich Sonntagmorgen in
den Zug nach Berlin und schlief ein. Der Zug fuhr über Berlin nach Prag und
Wien. Zum Glück wachte ich rechtzeitig auf.
In den letzten Jahren besuchte
ich immer einen Freund, der mit Frau und Kind in einer dieser berüchtigten
Doppelhaushälften im gutbürgerlichen Poppenbüttel wohnt. Aber ein sentimentaler
Spaziergang über die Reeperbahn und an den Landungsbrücken gehört meistens
dazu.
Nächsten Monat feiern wir seinen
sechzigsten Geburtstag. Vermutlich ohne Dragqueens und Koks. Es wird veganes
Essen und Weißwein geben – und wir werden uns am nächsten Morgen an alles
erinnern können. Kein Problem. Ich habe alles mitgenommen, alles gesehen und
vermisse es nicht.
Alles richtig gemacht. Wie sagte Falco einst so richtig: "Wer sich an die Achtziger erinnern kann, hat sie nicht richtig miterlebt."
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