Es war ein kühler Herbstabend und ich war an meiner alten Wirkungsstätte
in Kreuzberg unterwegs. Ich ging an meinem Haus in der Görlitzer Straße vorbei,
fand meine alte Stammkneipe, das „Kloster“ wieder, das mit neuem Pächter und
anderem Namen an der Skalitzer Straße liegt, und hing meinen Erinnerungen an
die neunziger Jahre nach.
Da sah ich einen Mann, der im Lichtkegel einer Laterne
stand und etwas an die Wand schrieb. Er war etwa in meinem Alter, trug einen
grauen Anorak und braune Hosen. Nach einer Weile ging er weiter, ich trat aus
dem Schatten und sah mir das Graffito an. Er hatte in tomatenroten Buchstaben „Spaghetti
Bolognese“ geschrieben.
Ich beschloss, ihm zu folgen. Er schrieb an diesem Abend
noch sechs weitere Male die beiden Worte an Wände und Bushaltestellen. Dann
verschwand er in einem Haus in der Wiener Straße. War es ein Kunstprojekt? Der
Werbeauftrag eines italienischen Restaurants? Oder war er verrückt? Von
Spaghetti besessen? Warum nicht auch mal Spaghetti Carbonara oder Pizza Hawaii?
Am nächsten Abend wartete ich nach Einbruch der Dunkelheit
auf der anderen Straßenseite seines Hauses. Gegen neun Uhr trat er auf den
Bürgersteig und begann seine Tour. Sieben Mal „Spaghetti Bolognese“ in roter
Farbe. Ich hätte ihn gerne angesprochen, aber mir fehlte der Mut. Vielleicht
war er gewalttätig oder er hielt mich für einen Polizisten in Zivil.
Auch am dritten Abend verließ er um neun Uhr das Haus. Aber
diesmal besuchte er ein italienisches Restaurant namens „Rocco und seine Brüder“,
benannt nach einem alten Visconti-Film, am Lausitzer Platz. Ich sah durch das
Fenster, wie er sich an einen Tisch setzte. Ich wartete ein paar Minuten, dann
betrat ich ebenfalls das Restaurant.
Ich setzte mich an den Nachbartisch und wartete auf den
Kellner. Als er mir die Karte geben wollte, sagte ich laut und deutlich: „Ich
hätte gerne Spaghetti Bolognese und ein Glas von Ihrem roten Hauswein.“ Der
Kellner nickte und ging.
Der Mann sah verwundert zu mir herüber und sagte: „Das habe
ich auch gerade bestellt.“
„Wirklich?“ antwortete ich ihm. „Ist das Ihr
Lieblingsessen?“
„Ja. Einmal die Woche komme ich hierher.“
„Ich habe in den letzten Tagen so oft ‚Spaghetti Bolognese‘
an den Hauswänden im Kiez gelesen, dass ich mir dachte, jetzt musst du es mal
wieder essen. Als Kind habe ich es geliebt.“
Er lächelte mich an. „Wollen Sie sich nicht zu mir an den
Tisch setzen?“
„Gerne.“ Ich stand auf und ging zu ihm hinüber.
„Wussten Sie, dass dieses Gericht überall auf der Welt
Spaghetti Bolognese genannt wird, nur nicht in Bologna? Dort kennt man es als
Penne al Ragù.“ Jetzt war er in seinem Element.
„Spaghetti sind ja auch aus Süditalien, nicht aus der
Emilia-Romagna.“
Er strahlte glücklich. Es wurde noch ein schöner Abend. Wir
treffen uns einmal pro Woche und ich zeige ihm Bilder von meinen Spaghetti-Graffiti
in Wilmersdorf.
Meine Prognose : Bald tauchen die ersten Döner - Graffitis auf...
AntwortenLöschenBist du dabei? ;o)
LöschenEher nicht, aber ich kenn´doch meine Pappenheimer :)
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