Montag, 20. Dezember 2021

Glück und Instinkt


Instinkt, das Wissen von Milliarden Jahren Evolution, gespeichert in unseren Zellen. Und mein Instinkt sagte mir, dass dieser Typ Ärger bedeutete. Ich wusste es, als ich seine nasskalte Hand schüttelte und in seine geweiteten Pupillen sah. Glatze, Ziegenbart, Nasenpiercing, Halstattoo, eine knallrote Lederjacke und Springerstiefel. Er war so unauffällig wie ein brennender Rodeoclown in einem Nonnenkloster.

Ich ließ mir nichts anmerken und lächelte höflich, als mir Lukas Horvath vorgestellt wurde. Angeblich Student, aber einhundertprozentig ein drogenabhängiger Kleinganove. Ich kannte diesen Typ. Jung, stark, unsterblich. Halten sich für Gewinner und was noch viel schlimmer war: Sie denken, sie wären schlau. Schlauer als die anderen. Genau die Sorte von Klugscheißern, die glauben, sie wären die Hauptdarsteller in einem Film, und die irgendwann im Knast oder auf dem Friedhof landen werden. Mit zwanzig denkst du, jeden Tag ist Party. Aber seine Party würde bald zu Ende sein. Er zog Ärger an wie ein gottverdammter Magnet.

Ulrich Greber arbeitete als Barista bei Starbucks. Wegen Corona war er ein halbes Jahr auf Kurzarbeit gewesen und seine Freundin hatte ihn verlassen. Jetzt vermietete er zwei von drei Zimmern seiner Wohnung. Ich war nur mit einer Sporttasche voller Klamotten in die Stadt gekommen und hatte kein Geld für eine Pension oder ein Hotel. Das Zimmer war möbliert und Uli stellte keine Fragen. Ich hätte ihm sowieso nicht die Wahrheit sagen können.

In Berlin suchte die Polizei nach mir. Ich konnte nicht zurück in meine Wohnung. Der Überfall auf den Geldtransporter war gescheitert. Das kommt davon, wenn man mit Idioten zusammenarbeitet. Idioten wie Lukas. Sie halten sich nicht an den Plan, ballern wild durch die Gegend und werden anschließend von den Bullen eingesammelt. In Moabit halten sie eine Woche das Maul, dann zwitschern sie wie die Lerchen.

Zwei Tage später verließ Lukas die Wohnung. Uli war arbeiten. Ich wartete zehn Minuten, dann zog ich mir Handschuhe an und ging ins Zimmer von Lukas. Zunächst fand ich nichts. Nicht unter dem Bett, nicht im Schrank und nicht in den Schubladen des Schreibtischs. Dann zog ich mir einen Stuhl heran und sah auf den Schrank. Ich fand eine Tasche mit einer Pistole, Munition, einer Sturmhaube und einem Jagdmesser. Wann würde er einen Überfall machen, um die Drogen bezahlen zu können? Es konnte nur eine Frage von Tagen sein. Er hatte die erste Monatsmiete in bar bezahlt.

Ich sollte recht behalten. Am nächsten Tag verließ ich das Haus. Ich musste mich nach einer neuen Bleibe umsehen. Ich suchte mir auf Google Maps eine neue Stadt und schaute mir auf einer Immobilienseite die WG-Angebote an. In kleineren Städten findet man schneller ein Zimmer als in den Großstädten. Außerdem sind die Zimmer in der Provinz bezahlbar. Meine Geldreserven schwanden, ich brauchte dringend einen neuen Job. Und wenn es nur ein Wohnungseinbruch war. Ich verließ das Internet-Café in der Altstadt und ging zurück.

Dann hatte ich einfach Glück. Als ich in meine Straße einbog, standen zwei Streifenwagen vor unserem Haus. Ich hörte Polizisten im ersten Stock brüllen. Dort lag unsere WG. Ich ging einfach weiter. Sah mich nicht mehr um. Nach einer Viertelstunde war ich am Bahnhof und stieg in den nächsten Zug, der mich aus der Stadt bringen würde. Es kostet mich ein müdes Arschrunzeln, wieder von vorne anzufangen. Es war nicht das erste Mal. Und sicher nicht das letzte Mal.

HITHOUSE - Jack To The Sound of The Underground - YouTube

3 Kommentare:

  1. Jaa, diese Typen gab es damals zuhauf, Kleindealer, immer die schönsten Frauen
    ( neidisch ? Ja... )
    vom damals noch sehr großzügigen Sozialsystem alimentiert, immer im Ausland, Indien, Nepal, Thailand, gutaussehend, immer die besten Sprüche drauf, allseits beliebt, jetzt von der Realität überrollt.
    Harz oder irgend ein Scheißjob, immer noch die gleichen Klamotten an, so langsam richtig peinlich, Alkis, Wracks, aber immer noch geblendet von der eigenen Großartigkeit.
    Man könnte denken, es gibt eine himmlische Gerechtigkeit, wobei, diese Typen haben einem ja eigentlich nie was getan.
    Es gemahnt einen an die eigene Endlichkeit und wachsende Zerbrechlichkeit.

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  2. Gute Shortstory.
    PS.Arschrunzeln ist ein uncooles und dämliches Wort. Falls Sie es noch einmal verwenden sollten,ich stürme mit Perec und Beckett Ihre Bude.

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    1. Ich habe es in einem Buch aus den 90ern entdeckt und werde es jetzt regelmäßig einsetzen.

      P.S.: Perec hatte einen uncoolen und dämlichen Bart.

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