Sei immer nett zu alten Leuten,
hat man mir gesagt. Sei hilfsbereit, sei freundlich. Gerade an Heiligabend. Du
wirst ja auch mal alt.
Die Rentnerin lächelte
freundlich. Ihrem gütigen Blick hätte niemand widerstanden. Ob ich ihr die
beiden schweren Einkaufstaschen in den vierten Stock tragen könnte.
Als wir an ihrer Tür angekommen
waren, schloss sie auf. Ob ich zur Belohnung einen Obstler wollte. Wer hätte
abgelehnt? Ich brachte die Stoffbeutel in die Küche und folgte ihr ins
Wohnzimmer.
Wir plauderten ein wenig. Sie
fragte mich nach meinen Familienverhältnissen. Ältere Menschen machen das
gerne. Ich sei Single, antwortete ich, keine Kinder. Die Verwandtschaft weit
entfernt, derzeit ohne Job.
Sie ging kurz hinaus. Ich dachte
mir nichts dabei. Als sie wiederkam, verabschiedete ich mich höflich und stand
auf.
Sie lächelte mich an und
schüttelte leicht den Kopf. Sie benötige meine Dienste noch ein paar Tage,
sagte sie.
Ich ging zur Wohnungstür.
Abgeschlossen. Kein Schlüssel im Schloss oder am Schlüsselbrett. In der Hand
der alten Dame eine Pistole.
Sie zeigte mir mein Zimmer. Hier
hatte früher ihr Sohn gewohnt, der jetzt in Stuttgart lebte. An der Wand hingen
noch Poster von ABBA und Boney M. Über dem Bett, auf dem eine karierte
Tagesdecke lag, gab es zwei Regalbretter mit den Werken von Karl May und Jules
Verne.
Sie kochte ausgezeichnet. Schweinelende
in Sahnesoße, Bratwürste, Rinderroulade, Gulasch, Sauerbraten. Salzkartoffeln,
Knödel, Spätzle, Bratkartoffeln. Rotkraut, Sauerkraut, Blumenkohl, Wirsing.
Rühreier mit Spinat. Niemals, Pommes, Pizza, Sushi oder Cheeseburger.
Bürgerliche Küche als Zuchthaus.
Immer, wenn sie einkaufen oder
spazieren ging, schloss sie mich in meinem Zimmer ein. Ich habe mehrmals Zettel
aus dem Fenster geworfen. „Hilfe! Ich bin bei Frau Strack im vierten Stock
gefangen. Bitte rufen Sie die Polizei!“ Keine Reaktion.
Wirklich schlimm waren die
Abende. Sie hatte sämtliche Shows von Peter Frankenfeld, Hans-Joachim Kulenkampff,
Wim Thoelke, Hans Rosenthal, Rudi Carell und Peter Alexander auf VHS. Dazu gab
es Eierlikör und immer die gleiche Knabbermischung.
Zwei Jahre später starb sie. Den
Wohnungsschlüssel trug sie um den Hals. Ich öffnete die Tür und war wieder
frei.
Information Society - What's On Your Mind (Pure
Energy) - YouTube
Tolle Geschichte. Hätte allerdings nicht gedacht, dass sie so glimpflich ausgeht. Danke fürs Blog.
AntwortenLöschenAn Weihnachten will ich mal nicht so sein ;o)
LöschenDie schlimme Geschichte kommt zu Hello Wien.
Löschen"Mit Josefine Fritzl im Bonker"
Strack? Hat der Sohn beim 1. FC Köln Vorstopper gespielt?
AntwortenLöschenJa, das war Gerd Strack. Ich hatte aber eher den Schauspieler Günter Strack im Hinterkopf.
Löschen"Früher war mehr Lametta“ ist ein Ausspruch, der aus dem Sketch „Weihnachten bei den Hoppenstedts“ (LORIOT)
AntwortenLöschenKawum Kawumm.... 🏭 🧨 🔥
FROHES FEST 🎄🥂✨💖🎊 lb Mathias... auch hier in die illustre Runde 🤶
Dir und allen anderen wünsche ich auch ein frohes Fest, liebes Engelchen.
LöschenZwei Jahre bürgerliche Küche - wie ist der Erzähler durch die Tür gekommen?
AntwortenLöschenUnd welche anderen Dienste meinte die Dame? Einkaufen war es ja nicht (mehr).
Schöne "suspense"-Geschichte, mag ich :-)